Turmzimmer

Wenig begeistert war Coreen dem Hochmeister der Reiter bis in sein Arbeitszimmer hin gefolgt und ließ nun ihren Blick durch das große Zimmer schweifen, bewunderte den Ausblick, den der Hochmeister durch die vielen Fenster hatte. Es erschien ihr fast so, als könne er durch diesen Raum alles wahrnehmen, was sich in der Festung ereignete.
"Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier, Hochmeister", begann die junge Frau und legte den dicken Mantel bei Seite, der sie auf dem Flug auf Anwars Rücken vor dem scharfen Wind geschützt hatte.
"Mir kam bereits zu Ohren, was sich mit einem Eurer Jüngsten ereignete ...", setzte sie nach einer Weile ohne Umschweife hinzu.

Anurin nickte, wies Coreen einen Platz zu und sperrt eide Tür ab, ehe er sich hinter seine Schreibtisch setzte.
"Ja, wirklich bedauerlich wie sehr Vrael sich von seinen Gefühle leiten ließ - wir konnten im letzten Moment einschreiten ehe er geansuo erdorben wurde wie Julian Frook, er ist wieder Novize!" er schüttelte bedauernd den Kopf.
"Aber die Situation ist unter Kontrolle!"

"Davon ging ich bereits aus", äußerte Coreen mit einer undefinierbaren Tonlage, die nicht darauf schließen ließ, was sie eigentlich über die Worte des Hochmeisters dachte. Sie zeigte ein schmales Lächeln auf den Lippen und ließ sich auf den ihr angewiesenen Platz sinken, die Hände im Schoß faltend während sie den Blick wieder auf Anurin richtete.
"Dennoch habe ich eine Bitte an Euch. Ihr sandtet uns Unterstützung als wir sie am Dringendsten benötigten und Vrael stand uns bei allen Schwierigkeiten bei. Ich selbst bat ihn zu den Elfen zu gehen und um deren Unterstützung zu bitten aber wir erfuhren nicht, ob er von ihnen Hilfe erhalten würde."

"Ich befürchte er war nicht er selbst - viel zu sehr abgelenkt von den Körperformen der Tochter eures Meisters.." meinte Anurin und strich sanft mit der Hand über das Ebenholz seines Tisches.
"Was auch immer er ausmachte, das ganze ist nicht sonderlich rechtskräftig - versteht ihr?" er legte die Fingerspitzen aneinander.
"Das alles ist eine Sache der Reiter"

"Sie sind Freunde und nicht mehr, Hochmeister. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Julian Frook und Vrael!", fuhr Coreen auf und erhob sich ruckartig von ihrem Stuhl. Sie konnte es nicht fassen, dass ausgerechnet Anurin so schlecht von einem seiner Reiter dachte.
"Astaya würde niemals zulassen, dass ihretwegen der Geist eines Reiters getrübt wird und Vrael ist ein ehrenhafter junger Mann. Er würde so etwas niemals tun ohne Kharas zuvor um Erlaubnis zu bitten.
Was immer Vrael ausgemacht hat mag für Euch nicht rechtskräftig sein aber für die Elfen ist das Wort eines Reiters verbindlich und das sollte Euch bewusst sein."

"Setzt euch, bitte" meinte Anurin noch immer betont ruhig und setzte ein leises Lächeln auf.
"Allein ihre Anwesenheit benebelt seinen Geist und seine Urteilskraft, wir dürfen nicht aufgrund weniger viele gefährden - manchmal müssen nun einmal Opfer gebracht werden und ich bitte euch nun euch wieder hin zu setzen und in einem anderen Ton mir mit zu reden!"

"In einem anderen Ton? Wenn Ihr aufhört mich wie ein naives Kind zu behandeln, dann werde ich das gerne tun, Hochmeister", schoss Coreen trotzig zurück, ließ sich dann jedoch wieder auf ihren Stuhl sinken. Das hier würde in einem Ping-Pong enden und mit der Drohung ihres Meisters in den Ohren, seufzte Coreen leise. Sie durfte hier keinen Fehler machen, wenn sie nicht wollte, dass Anurin ihr etwas antat und blutig dafür büßen würde.
"Ein Opfer muss gebracht werden, da gebe ich Euch recht aber wir können in diesem Kampf nicht auf die Unterstützung der Elfen verzichten. Sie standen uns bereits einmal helfend zur Seite und kämpften Seite an Seite mit den Reitern, den Zwergen und den Menschen.
Hochmeister, ich bitte Euch, überdenkt Eure Fehde mit den Elfen noch einmal und lasst sie für die Zeit ruhen, in der ein weit größeres Übel unsere Welt vernichtet. Ihr seid die Bewahrer des Friedens in diesem Reich."

Anurin nickte langsam, schien einsichtig zu werden.
Doch dann schlug er die Augen auf.
"Wisst ihr, vor kurzem war eine Frau bei mir - ein langes blaues Gewand und rote Haare, sie übergab mir eine Prophezeihung..."
Er stand auf und trat ans Fenster, den Rücken zu Coreen gewandt.
"Wir werden nicht diesen Foltermeister töten, klar?" fragte er dann langsam und ließ seine Worte wirken.
"Der dunkle Magier wird alle Übel der Welt erwecken und jeden bösartigen Geist zu sich rufen - das steht absolut fest.
Die Kutsche ist abgefahren!
Das Ende naht - die Apokalypse kommt, Mädchen!
Wir wollten nie das Öffnen des Verlies der Seelen aufhalten - das hat erst unseren Feind befreit - ich meine, denkt nach! Glaubt ihr etwa Ethra wäre soweit gekommen wenn ich das nich so gewollt hätte?" er nickte langsam.
"Ihr müsst verstehen, es wird zu einem Krieg kommen und wenn wir gewinnen - und wir werden gewinnen, dann ist alles Böse für immer aus dieser Welt verschwunden.
Das wird ein Paradies auf Erden sein, das ist doch ziemlich gut oder?
Also müssen wir nunmal abwarten und die Elfen sind diesbezüglich nun wirklich keine große Hilfe!"

Er drehte sich langsam um.
"Und nun, schaut mich nicht so an!
Ich habe nicht gelogen was die Reiter angeht! Wir werden es aufhalten, nur nicht den Foltermeister oder die Apokalypse - das ist alles!
Sowas passiert, man muss viele Opfern um noch mehr zu retten - also beruhigt euch, in ein paar Jahren werden wir alle Herzhaft darüber lachen!"

"Bitte was?!", echote Coreen völlig verwirrt und erhob sich erneut, mit einer Hand nach dem Mantel greifend, den sie von Kharas erhalten hatte und eben jenen wieder um ihre Schultern ziehend. Sie zog die Schnürung des Mantels mit einer kurzen, geübten Bewegung ihrer Finger zu und machte einen Schritt zur Tür.
"Oh nein, Hochmeister Anurin. Ich werde nicht einfach aufgeben und dabei meine Familie und alle anderen Unschuldigen gefährden. Unsere Freunde sterben da draußen und ich werde wegen Josephine nicht aufhören dafür zu kämpfen.
Ich weiß genau von wem Ihr sprecht, Anurin und ich werde Vrael mit mir nehmen. Fort von Eurem verwirrtem Geist. Ihr seid keinen Deut besser als es Julian Frook war!", fauchte sie düster und trat zur Tür hin, die Finger auf die Klinke legend um jene zu öffnen und irritiert feststellend, dass jene verschlossen war.
"Was soll das?!"

"Ihr Menschen seid so brechenbar..." meinte Anurin leise und trat gelassen um seinen Schreibtisch herum weiter auf Coreen zu.
"Warum glaubt ihr, erzähl ich euch das?
Es ist zu spät und ich möchte das ihr vorbereitet seid - Vrael allerdings bleibt hier - er spielt nicht umsonst eine wichtige Rolle in dem ganzen!" er schenkte ihr ein Lächeln.
"Ihr seid noch jung Coreen und ihr seht nicht wie weitblickend ich bin - ich töte doch niemanden, ich sorge nur dafür das Alagaesia endlich in Frieden leben kann..." er strich ihr über die Haare.
"Das versteht ihr doch sicher, das ist doch auch euer anliegen - nur habe ich verstanden wie es funktioniert..."

Coreens helle Augen funkelten düster auf den Hochmeister der Reiter, dessen Hand sie grob von sich wegstieß. "Fasst mich nie wieder an!", fauchte sie und streckte eine Hand aus, richtete sie auf die Tür und sammelte Magie in ihrem Inneren.
"Jierda!"
Der Fluch verließ laut ihre Lippen und sie zog den Mantel gerade noch rechtzeitig vor ihr Gesicht bevor sich die unzähligen Holzsplitter der Tür in ihre Haut bohren konnten, die von der zerstörten Tür stammten.
"Ich lasse das nicht zu. Vrael ist kein Mittel zum Zweck."

Anurin blieb ungerührt stehen als die Tür zerbrach, die Holzspitter prallten mit einigem "Pling" an seiner Rüstung ab, ein kleiner schliff seine Wange und hinterließ einen blutigen Striemen.
"Bitte hört auf euch wie ein wild gewordener Brüllaffe zu benehmen" meinte Anurin leise.
"Das ist sehr unschicklich"

Wissend, dass sie sich mit jedem weiteren Wort nur noch mehr in Rage geredet hätte, wandte Coreen sich zur Tür um und stieß über die Trümmer, die sie dort hinterlassen hatte. Sie würde Anurin sonst angreifen und obgleich sie wirklich versucht war den anderen zur Vernunft zu bringen war ihr klar, dass sie in diesem Kampf den Kürzeren ziehen würde.
"Die Elfen hatten Recht, was Euch anging, Anurin. Lieber bin ich ein wildgewordener Brüllaffe als Sklave einer Vorhersage zu sein, blind geworden für das, was wichtig ist", antwortete sie schlussendlich dann doch und drehte sich über die Schulter zu dem Hochmeister zurück.
"Ich werde Vrael holen und wir werden Euch umgehend wieder verlassen aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, seid Euch sicher und wenn ich selbst mich an den Rat der Elfen und Königin Dellanir selbst wenden muss."

tbc: Vraels Zimmer

"Ihr habt keine Ahnung von den Konsequenzen eurer Handlung!
Ich habe die Zukunft gesehen und mein Plan wird viele Leben retten!" rief er ihr nach.
"Denkt darüber nach was ihr tut!"

Caladhiel hatte sich umgezogen und schon einmal Anurins Büro betreten welches alsbald ihres sein würde und in welchem sie viele Stunden des Tages verbringen musste.
Gerade besah sie sich das unglaubliche Panorma, als ein leises Klopfen von der Tür drang und Oromis eintrat.
Er sah sich einmal in dem Raum um, ehe das Lächeln welches in seinem Gesicht stand auf Caladhiel fiel und vollends erstrahlte.
Er ging vor ihr auf die Knie, senkte sein Haupt und betrachtete den Marmor welcher in höchster Kunst auf dem Boden in allen Formen glänzte.
"Hochmeisterin der Reiter, ich erbiete euch meinen vollsten Respekt!
Ich werde euch dienen und in jeder Schlacht mit euch Fliegen!
Glaedrs Zähne und mein Schwert gehören euch - mein Stab und Glaedrs Feuer werden euch schützen.
Im Bunde der Brüderlichkeit lebe und sterbe ich an eurer Seite - möge der Wind stets unter Anwars Schwingen liegen und der Himmel immer Wolkenlos sein. Mein Leben ist das eure und eure Weisheit wird mein Lehrer sein!
Ihr seid meine Lehnsherrin, möge eure Klinge stets scharf bleiben!"

Eine ganze Weile lang war Caladhiel durch den großen Raum gewandert, ihre Finger hatten sanft über das alte Holz gestrichen, aus welchem der große Tisch gefertigt worden war. Noch hatte sie es nicht gewagt sich in den Stuhl sinken zu lassen, in welchem sie ihren Meister noch immer vor Augen hatte, der sie mit wissendem Blick im Auge behielt. Er gehörte ihm und mehr denn je kam sich die Reiterin wie ein Eindringling vor, wie ein Fremdkörper, der nun einen Posten besetzte, der ihr nicht einmal gehörte.
Als das Gefühl der Einsamkeit sie übermannte trat sie zu dem großen Fenster hinüber und ließ ihren Blick über die Insel der Reiter schweifen. Im Grunde hatte sie diesen Posten nicht gewollt, doch sie war nicht gefragt worden - es hatte nicht interessiert, ob sie dafür überhaupt bereit war und die Elfe wusste, dass ihr oberstes Ziel nun sein würde die Reiter in den dunklen Zeiten zusammen zu halten, wenngleich auch sie selbst langsam ihren Halt verlor.
Als es nun klopfte und Oromis in den Raum trat, zwang Caladhiel ein Lächeln auf ihre Züge, das ihre Augen nicht erreichte und in denen sie versuchte sich die Angst um Anurin und den Schmerz um seinen Verlust nicht anmerken zu lassen. Die Worte des Freundes hallten in ihrem Kopf wieder und wieder nach, erinnerten sie daran, dass auch sie vor Jahren den gleichen Schwur geleistet hatte als sie in den Orden aufgenommen worden war.
Mit langsamen Schritten trat sie zu dem Freund hinüber und straffte ihre Haltung. Sie erlaubte es sich noch einmal tief durchzuatmen um sicher zu gehen, dass ihre Stimme nicht unsicher oder zitternd klang als sie zu einer Antwort ansetzte.
"Ich nehme dein Versprechen an und schwöre vor dir als meinem Zeugen, der mich stets daran erinnern möge, wenn ich drohe zu vergessen.
Ich werde den Orden, den auch du mir anvertrautest, mit aller Macht schützen, die mir innewohnt. Werde die Wehrlosen und Unschuldigen schützen und nur die richten, über deren Herz die Finsternis gekommen ist.
Mein Interesse wird stets dem Frieden gelten, für den ich bereit bin ohne Furcht in die Schlacht zu ziehen", intonierte sie die altbekannten Worte, die auch sie vor Jahren gehört hatte und neigte das Haupt vor dem anderen Reiter. Dieselben Worte würden Stunden später noch einmal über ihre Lippen gelangen - lauter gesprochen, auf dass jeder der Reiter ihren Schwur vernehmen konnte. Worte, die jeder Hochmeister einst geschworen hatte, gesprochen in der alten Sprache um die Wahrheit dahinter zu verkünden.

Oromis erhob sein Haupt und besah sich Caladhiel welche durch den Schein der aufgehenden Morgensonne, die durch die riesigen Fenster fiel in ein rotes Licht getaucht wurde.
Oromis mochte die Sonne des Morgens, liebte ihr dabei zuzusehen wie sie Aufging, die Nacht vertrieb und mit ihren güldenen Strahlen über das Land zog.
In der Ferne sah er die großen Wiesen Vroengards, wusste das die Strahlen der Sonne den Tau funkeln ließen wie abertausende von Sternen.
Alsbald würde der Tau zu Nebel verdampfen und die ganze Insel wie jeden Morgen in ein surreales Traumland verwandeln.
Oromis sah gerne die Sonne an, wie sie über den Horizont glitt und stellte sich dabei vor das sie Hinuam war - der Ursprung alles Lichts und alles Lebens.
Es hieß wer von ihr berührt wurde war dazu ausersehen großes zu vollbringen.
Geradezu passend erschien es ihm nun hier, dass die Sonne Caladhiel in ihr Licht hüllte.
Langsam erhob er sich, küsste Caladhiel zuerst auf die rechte, dann auf die linke Wange und zuletzt auf die Stirn.
"Ich werde dir mit Rat und Tat zur Seite stehen Caladhiel, du musst jene Verantwortung nicht alleine schultern.
Ein Wort von dir und ich bin an deiner Seite!"

Für einen kurzen Moment war Caladhiel unsicher geworden als Oromis sich Zeit mit seiner Antwort ließ und fühlte sich mit einem Mal wieder wie die junge Novizin, die sie vor Jahren gewesen war und die sich bei ihrem ersten Schwur so furchtbar versprochen hatte. Damals hatte sie alles schnell hinter sich bringen wollen und hatte die Worte in der Alten Sprache förmlich herunter gerattet, so dass sie sich vollkommen verhaspelt hatte und schließlich etwas ganz anderes dabei herausgekommen war, als es sollte.
Auch damals hatte Stille in dem großen Ratssaal der Reiter gelegen bevor Anurin leise begonnen hatte zu lachen und am Ende auch der Rest der Reiter in jenes Lachen eingestimmt waren während die junge Elfe, die Caladhiel einmal gewesen war mit hochrotem Kopf vor ihnen stand und am liebsten in einem Loch im Boden versunken wäre.
Als nun Oromis antwortete, atmete Caladhiel versteckt erleichtert auf und das Lächeln auf ihren Zügen wurde ein ganzes Stück ehrlicher als sie nickte, seine Worte zur Kenntnis nahm und deren Bedeutung gänzlich zu ihr hindurch drang.
"Ich danke dir dafür."
Die Worte kamen nur langsam und kaum hörbar über die Lippen der Reiterin, die sich nun merklich wieder entspannte, da die Anspannung der bedeutungsschweren Worte, die sie zuvor gewählt hatte, von ihr abfiel.

"Es gibts nichts wofür ich deinen Dank verdienen würde..." kam es von Oromis zurück, welche einen Schritt zurück trat und das Arbeitszimmer der Hochmeister betrachtete.
"Du hast dieses Amt verdient Caladhiel aber glaube mir, ich weiß welche Sorgen sich in deinem Geist sammeln!" er lächelte sie an, und neigte wie sooft den Kopf.
"Und außerdem - es ist ja nicht für lange Zeit. Bald wird Anurin wieder hier seine Arbeit verrichten, seinen Blick über das Panorama streifen lassen und uns mit ewigen Vorträgen quälen" er lächelte sanft

"Ich hoffe es ...", antwortete Caladhiel leise, die mit langsamen Schritten zurück zu der verglasten Front zurücktrat und hinaus blickte. Sie schloss die brennenden Augen einen Moment und verschränkte dann die Arme vor der Brust während sie darüber nachdachte, wie sie das, was ihr auf dem Herzen lag am besten in Worte fassen konnte.
Nichts würde es weniger schlimm wirken lassen, kein Wort würde die tiefere Bedeutung abmildern und die Bitterkeit darin verschwinden lassen. Das wurde Caladhiel nach einigen Minuten klar und so seufzte sie lediglich leise während sie den Kopf über die Schulter zu Oromis zurückdrehte, den alten Freund eine ganze Weile lang musternd.
"Ich habe das nicht verdient hier zu stehen und all das weiterzuführen, Oromis. Ich hätte auf ihn achten müssen, ihn beschützen müssen - mich selbst in die Hände des Feindes begeben sollen ... ich habe geschworen ihn zu schützen und ich habe versagt. Ich konnte nichts dagegen unternehmen und ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ihm aufgrund meines dummen Fehlers etwas Schlimmes geschehen würde."

Stille
Jene, ungaubliche Stille welche nicht nur durch das Fehlen von Geräuschen entsteht sondern geschaffen wird wenn sämtliche Töne in der Umgebung verstummen.
"Du meinst also," fing Oromis in einem langsamen und gemächlichen Tonfall an.
"dass du hättest darauf vorbereitet sein müssen, dass Anurin in einen Spiegel gezogen wird - oder das du dich an Bid´Uams Beine hättest hängen sollen, als er in die andere Welt gezerrt wurde?" fragte er und etwas tadelndes lag in seinem Unterton.
"Du bist also der Meinung das du auf unseren Großmeister wie auf einen dreijährigen hättest aufpassen sollen, weil du ja geradezu wissen musstest, dass in einem abgeriegelten und sicheren magischen Raum der Tod direkt um die Ecke lauert?" er schüttelte den Kopf.
"Nein Caladhiel - nichts von alledem ist deine Schuld.
Und du hättest auch nichts ändern können, egal was du getan hättest.
Aber wenn du trotzdem der Meinung bist etwas wieder gut machen zu müssen - dann stecke deine Energie in die Führung der Reiter, lass uns unseren Feind zerschmettern!"

Die Elfe verkrampfte ihre Finger um ihre Arme, bemerkte nicht einmal, dass ihre Fingernägel sich in das weiche Fleisch ihrer Arme gruben und kleine Wunden daran hinterließen. Den Schmerz, den ihr Körper aussandte, war jedoch nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den Oromis' Worte in ihr verursacht hatten, denn sie waren wie ein Dolchstoß mitten in ihr Herz gewesen.
Er hatte Recht, so ungern sie das im Moment auch zugab.
Welches Recht hatte sie schon zu behaupten der Hochmeister könne nicht auf sich selbst Acht geben?
Mit welchem Recht wagte sie es zu behaupten, dass sie die Macht dazu hatte, etwas an seinem Verschwinden ändern zu können.
Erneut war ein leises Seufzen von der Elfe zu hören, deren Blick sich inzwischen wieder auf die Landschaft vor dem Fenster gewandt hatte. Sie beobachtete eine ganze Weile lang die Vögel, die munter in der Morgensonne umher flogen und einen gemeinsamen Tanz vollführten, der sie normalerweise zum lächeln brachte.
"Und das werden wir", antwortete sie schließlich, verbarg jedoch die Worte, die sie nur in ihrem Geist hinten an setzte. 'Und wenn es das ist, wofür ich mein Leben her gebe ...'

"Gemeinsam..." fügte Oromis für sie dazu und seufzte leise, sie machte sich immer noch hunderte und tausende von Vorwürfen.
Aber das würde er nicht ändern können, sie musste es selbst einsehen.
Er trat einige Schritte zurück.
"Soll ich mich entfernen?"

Es war diese einfache Frage, die im Raum stand, die Caladhiel zurück in die Realität und ihre Gedanken von all den Vorwürfen abbrachte, mit denen sie zuvor noch beschäftigt gewesen war. Ruckartig und viel schneller als es für sie normal war, wandte sie sich zu Oromis zurück und blinzelte verstört.
In ihren Augen lag eine stumme Entschuldigung für die Worte, die sie nur vor wenigen Minuten gewählt hatte und die ihn vermutlich ebenso hart wie sie selbst getroffen hatten.
"Nein ...", antwortete sie mit einem langsamen Kopfschütteln. Allein sein würde bedeuten, dass sie allein mit ihren Gedanken und Vorwürfen bleiben würde, ohne jemanden bei ihr, der sie eines Besseren belehrte und sie daran erinnerte, dass sie nicht in all dem Ertrinken durfte. Würde er jetzt gehen, würde sie den rettenden Anker verlieren, den sie gerade so dringend brauchte.
"Verzeih ... ich ..."
Sie brach kopfschüttelnd ab, nur um wenige Sekunden später mit deutlich festerer Stimme erneut zu beginnen. "Ich habe mich verleiten lassen. Du hast Recht, ich sollte nicht so denken, wenn ich versuchen will den Orden zusammen zu halten und zu führen in dieser Zeit."