Der Burghof

"Ich hab mit Ethra gesprochen", begann Coreen leise seufzend zu erklären, verfluchte jene Handlung im nächsten Moment und nuschelte ein leises "Au..." bevor sie weitersprach. "Für einen Moment war er glaube ich er selbst - jedenfalls ... er schien das, was er tut wirklich zu bedauern. Ich glaube, dass es noch irgendeine Möglichkeit gibt ihn zu bekehren, Ziran"

"Du...
Co!" fluchte Ziran leise. "Ich versuche auf dich auf zu passen und kaum bin ich mal kurz ausgeknockt, schon redest du mit dem Wahnsinnigsten Wesen Alagaésias!" er umschlang sie und streichelte sie langsam.
"Verdammt nochmal..." er küsste ihren hals.
"Du kannst mich doch nicht einfach hier allein lassen - wenn dir was passiert... ich finde doch nie mehr meine Socken..."

Je weiter sie sich von Hedarth entfernt hatte, desto heller erschien ihr der Tag, unbekümmerter die Stimmung der Menschen, denen sie begegnet war. Ihre eigene Kraft jedoch hatte über die lange Reise nachgelassen, hatte Astaya sich doch dazu gezwungen bis an die Grenzen ihres eigenen Körpers zu gehen, der sie durch schmerzende Muskeln nun daran erinnerte, dass sie es übertrieben hatte. Das Gefühl verfolgt zu werden und das daraus resultierende Adrenalin, das durch ihre Adern pulsierte, hinderte sie daran Müdigkeit zu empfinden.
Als sie nun den Hof der Burg erreichte und die vertrauten Stimmen der Soldaten vernahm, an die sie sich inzwischen gewöhnt hatte, bahnte sich ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen.

Eine warme Stimme hinter Astaya ließ sie vollends daheim ankommen.
"Wie war es denn in Hedarth?" fragte sie leise hinter ihr.
Doch war es nicht das warme Willkommen was sie möglicherweise erwartet hatte. Es war nicht abfällig oder enttäuschend gesprochen -auch von Wut war in ihres Vaters Stimme kein Hauch zu spüren.
Es war viel mehr, ehrliche Neugier.

Das Lächeln auf den Zügen der Jüngeren breitete sich ein Stück weiter aus als sie die Stimme des Ziehvaters hinter sich wahr nahm und sich langsam zu jenem umwandte. Natürlich wusste er, wo sie gewesen war. Er war nicht dumm und kannte sie seit Jahren. Auch er wusste, dass das Schicksal sie zu Orten zog, an denen große Dinge geschehen würden, zu Wesen, die unweigerlich mit dem Schicksal verbunden waren.
"Die Dunkelheit hat diesen Ort eingenommen und der Schatten ist fast greifbar", antwortete sie ihm ehrlich.

Sie spürte, wie ihr Ziehvater sie umarmte, näher zu sich heran zog und sanft auf den Kopf küsste.
"Ich will dir keine Vorwürfe machen, ist doch dein Schicksal soviel größer als das meine...
Aber ich hatte Angst um dich Astaya..." er streichelte ihr liebevoll über den Kopf.
"Ich bin so froh, dass es dir gut geht!"

"Mein Schicksal ist es zuzusehen, Vater, nicht etwas zu unternehmen - dies ist dein Schicksal", antwortete Astaya und hob die Hände, hielt sich an dem Vater fest und barg das Gesicht an dessen Schultern.
"Mir wird nichts geschehen, Vater. Niemand wusste, wer ich war und ich habe niemandem etwas gesagt."

"Ich bin dein Vater Asaya - es ist meine Aufgabe mir Sorgen zu machen...
Du bist alt genug um deine Entscheidungen selbst treffen zukönnen, doch in meinen Augen wirst du immer das kleine süße Mädchen sein welches ich Nachts ins Bett gebracht und auf meinen Schultern reiten gelassen habe." sagte er leise und strich ihr durch das blonde Haar.
"Verzeih deinem alten, plumpen Vater"

Das Mädchen hatte noch antworten wollen, doch dann versteifte sich ihr Körper plötzlich in den Armen des Ziehvaters. Bilder tauchten vor ihren inneren Augen auf und das Leid erschien in ihren Gedanken, überlagerte alle anderen Emotionen, alle Liebe, die sie ihrem Ziehvater entgegen bringen wollte.
"Ich brauche dir nicht zu verzeihen, Vater ...", erwiderte Astaya brüchig und suchte einen Halt in der Realität, umfasste mit ihren dünnen Fingern den Stoff von Kharas' Mantel. Es schien, als sei unweit von ihr entfernt ein mächtiger Fluch gelöst worden während andere noch immer dunkel über den Trägern schwebten.

Auch Kharas spürte es, wenn auch nicht ganz so stark und zog Astaya an sich.
Er wollte sie zurück in die Realität holen, strich ihr sanft übers Haar und zog sie etwas mehr ins Licht, damit sie die wärmende Sonne spürte.
"Es kommt alles in Ordnung..."

"Etwas Böses ist im Osten aufgezogen, Vater ...", sagte sie leise als sich der Blick der blinden Augen wieder geklärt hatte. In letzter Zeit hatte sie des Öfteren Visionen gehabt, hatte durch die Augen von anderen gesehen und ihr Leid geteilt und je näher der Krieg kam und Ethra dem Verließ der Seelen näher kam, desto schwächer fühlte sie sich. Der Schlaf, den sie in letzter Zeit bekommen hatte, war überlagert gewesen mit Erinnerungen, Stimmen in ihrem Kopf, die sie glauben ließen, sie würde nach und nach wahnsinnig werden.
"Es gibt noch so viel, das du tun musst ... so viel bei dem nur du helfen kannst."

"Komm, ich werde dich in meinem Zimmer schlafen lassen - dort wirst du einen ruhigen Schlaf haben, nicht durchbrochen von visionen!" sagte er und hielt sie an der Hand, sprach tröstend auf sie ein.
"Ich werde alles tun was ich kann, damit ihr in Frieden leben könnt!"

"Nein", widersprach Astaya und der Wind, der durch den Burghof wehte, zerzauste ihre hellen Haare. Flehen stand in ihrem Gesicht, denn so sehr sie sich wünschte, sie könne die Visionen einfach abschalten, sie wusste, dass sie es sehen musste um ihr Werk zum Eintritt der Vorhersagen beisteuern zu können. Es war nicht richtig sich vor all dem zu verschließen und das wusste Kharas ebenso wie sie.

Kharas bugsierte Astaya zaghaft in eine der dunkeln Ecken des Burghofs.
"Astaya... wir sind in der Arcanea, ja - aber du bist auch meine Tochter..." er strich ihr sanft über den Kopf.
Das Pflichtgefühl der Welt gegenüber, ja er hatte es. Hatte nie daran gezweifelt.
Doch nun, nachdem er Ethra in gutem Glauben und im Sinne der Arcanea angesprochen hatte, hatte er diesen - seinen alten Freund in ein BodenlosesLoch gestürzt.
"Ich will dich nicht verlieren!"

Das Mädchen hob langsam den Kopf und es schien als sah sie Kharas direkt an. "Willst du überhaupt noch bei der Arcanea bleiben oder tust du das nur wegen Mutter?", fragte sie dann und schien dieses Mal eine ehrliche Antwort erwarten.
Sie hatte sein Bedauern gespürt als die Sache mit Ethra gescheitert war, hatte seinen Widerwillen gegenüber den Projekten der Arcanea gespürt. Dinge, die sie unsicher gemacht hatten, was seinen Weg anging.

"Ich will der Menschheit helfen und die Arcanea dient der Menschheit, die Mission Ethra - und ihr scheitern sind ganz und gar auf meine Fehler zurück zu führen.
Ich werde bei der Arcanea bleiben." antwortete Kharas mit einem wehmütigen Lächeln.
Allein um deinetwillen... fügte er für sich in Gedanken hinzu

Astaya schien kurz wissend zu lächeln, dann aber nickte sie und nahm seine Aussage so als gegeben hin, wenngleich sie wusste, dass er nicht gänzlich ehrlich zu ihr gewesen war. Dies jedoch war eine Eigenheit der Mitglieder der Arcanea mit der sie inzwischen zu leben gelernt hatte. Niemand von ihnen war anders und jeder schien zu vergessen, dass ein Teil von ihnen die Wahrheit kannte, ohne dass sie gesprochen wurde.
"Alles geschah so, wie es in der Weissagung stand, Vater."

Kharas nickte nur.
Gab Astaya recht, aber... wenn er jemand anders ausgewählt hätte?
Oder wenn er sich selbst dafür hingegeben hätte.
Wäre es dann anders gewesen?
Hätte er sie alle Retten können?
"Ja... ja..." gab er leise zu.
"Ich liebe dich, das weißt du - ja?"

"Gräm dich nicht, Vater", bat sie leise und hob eine Hand, legte jene dem Älteren auf die Schulter. Sie seufzte leise, weil sie wusste, dass am Ende aller Dinge er allein sein würde, denn dies war seine Prüfung während es ihre Aufgabe sein würde das Leid der Krieger zu lindern, die in der Schlacht verwundet worden waren. "Du hättest nichts an Ethras Schicksal ändern können, selbst, wenn du es gewollt hättest. Du warst nur derjenige, der den Eldunarí in seine Brust setzte - dass er die anderen schluckte, dafür warst nicht du der Auslöser."

Er nickte. Sie hatte recht und er wollte ihr ein guter Vater sein.
Sie sollte sich auf ihm abstützten und nich umgekehrt.
"Du bist das beste was ich in meinem Leben geschaffen habe, dich zu erziehen. Dich zu haben - ist das größte Geschenk das mir jemals zu Teil wurde!"

"Alles, was ich weiß, hast du mir beigebracht, Vater", entgegnete sie schwach lächelnd und machte ein paar Schritte ins Innere des Palastes, vorbei an einigen der dort stationierten Soldaten, die einem Teil des Gespräches neugierig zugehört hatten.
"Aber fürs Erste müssen wir einen Krieg vorbereiten und zusehen, dass die Truppen der Fürsten hier bald eintreffen, nicht wahr, Vater? Was ist mit Anurin und anderer Unterstützung?", fragte sie dann und legte den Kopf schief. Inzwischen war es für sie fast zur Gewohnheit geworden sich mit Kriegsbelangen zu beschäftigen.

Kharas versummte für einen Moment.
Seine kleine Tochter sorgte sich um Krieg. Sie war kein normales Kind, nein. Manchmal aber, Abends hatte er sich früher immer geüwnscht sie wäre es - nicht weil er mit ihrer Gabe nicht klargekommen wäre, aber um ihretwillen, um ihr all das Leid zu ersparen.
Er liebte sie - mehr als er jemals jemanden geliebt hatte. Sie war seine Tochter, wenn auch nicht vom selben Blute.
"Anurin dürfte bald eintreffen, ich habe Dellanir geschrieben... König Drimsdir durchkämmt mit seinen Zwergen die Stollen im Beorgebirge nach Auffälligkeiten...
Und Hivnir hat uns ebenfalls untersütztung zugesagt!"

"Das bedeutet, es sind wie viele gegen eine Streitmacht von Urgals, Lady Klianaessa und Ethra selbst?", fragte sie im nächsten Augenblick und verfiel einen Moment ins Schweigen, in dem sie darüber nachsann, was geschehen würde, wenn die beiden Streitmächte aufeinander trafen. Sie wusste nicht viel von Krieg, nur das, was sie von den Soldaten oder Beratern erfahren hatte, die sie nicht für ein kleines Mädchen hielten.
"Was die Lady Klianaessa angeht ... man sollte ihr die Macht nehmen um ihren Einfuss einzuschränken. Sie könnte gefährlich werden, wenn du sie gewähren lässt."

"Eine Streitmacht von fast 1 zu 1, wenn unsere Berichte Stimmen...." erklärte Kharas und lehnte sich gegen eine der vielen Säulen.
"Und was Klianessa angeht - meine Soldaten versuchen ihr möglichstes, aber Dras Leona ist erstaunlich rabiat abgesperrt."

"Haben wir alles?" Ceredirons Stimme durchbrach die allgemeine Beshcäftigung der Gruppe, welche sich noch letzte Verpflegung holte und die Lederbänder enger schnallte