Gemächer des Herrn "drei Blumen"

Sein Weg hatte ihn schließlich in Richtung des Schlosses geführt, denn schließlich war er es Leid gewesen die schier endlosen Straßen der Stadt auf und wieder abzuwandern und sich zu versuchen daran zu erinnern, welcher Weg zu dem Haus seines Herren führte. Ileana würde es ihm sicherlich sagen können und ebenso freute er sich darauf, die alte Freundin nach langer Zeit wieder einmal umarmen zu können. Natürlich hoffte er darauf dass ihm die Monate, die er bei den Reitern zugebracht hatte anzusehen waren und sie ihn darauf ansprechend würde, vielleicht sogar lobend. Es musste seltsam wirken wenn man sich darüber Gedanken machte, dass er sich ein Lob von ihr erhoffte, doch musste er bei dem Gedanken daran dennoch schmunzeln. Als er eine Wache am Tor jedoch nach einer Audienz bei seiner alten Freundin, diese Worte hatte er schließlich berichtigt, bevor der Wachmann seinem stutzigen Gesichtsausdruck Worte verliehen hatte, bei seiner Königin fragte, fragte man ihn wer er war. Und als er preisgab das er der Knappe von Ser Gawain war, kam in einem kurzen Gespräch heraus, dass dieser inzwischen in diesem Schloss wohnte.
Ein paar Kammerdiener später, die er jedes Mal beinahe umgerannt hätte, so schnell sausten sie durch die Gänge, stand er schließlich vor der Tür von Gawain und klopfte an dieser.

Gawain saß gerade zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter beim Mittagessen, als das Klopfen ihn von einer Lammkeule in Pfefferminz weglockte. "Entschuldigt mich bitte meine beiden Grazien" flüsterte Gawain und stand auf, ehe er sich mit raschen Schritten auf den Weg zur Tür machte. Sein Chaperon hatte er zur Mittagszeit abgelegt, ebenso wie sein blau-weißes Gewand. Er trug ein violettes Unterwams, schwarzes, gebleichtes Leder als Weste und lange wollene Hosen als er schließlich die vernarbte Hand um den Türgriff legte und die große Eiche nach innen hin aufzog.
Dort vor ihm stand Noah Ronan. Er war etwas größer geworden, hatte an Muskeln zugelegt und wirkte älter. An seiner schrecklich ungepflegten Frisur, auf die kein Helm jemals wirklich passen würde hatten die Reiter aber wohl auch nichts ändern können.
"Noah" meinte er leise und lächelte. "Komm herein, komm herein. Was kann ich für dich tun?"

„Ser Gawain.“ Noahs Begrüßung war deutlich überstürzter als die des Ritter, sodass er schließlich einfach beide Arme um den älteren Mann schlang und ihn so einen Augenblick lang umarmte, ehe ihm auffiel, dass auch seine restliche Familie Anwesend war und das Schauspiel mit nur allzu deutlich erkennbarer Belustigung betrachtet. „Verzeiht.“ Er wollte Gawain keine Schande machen, wie er es bereits so oft getan hatte und nach dem kurzen, musternden Blick des Mannes trat er schließlich ein und neigte den Kopf zu den beiden Frauen, die am Tisch saßen. Beide sahen sich erstaunlich ähnlich, doch war trotz allem klar erkennbar wer von beiden die Mutter, und wer die Tochter war, wobei er glaubte das die junge Frau ihren Blick einen Augenblick länger auf ihm lies, als es Gawains Frau tat. „Noah Ronan, werte Damen, es freut mich euch kennen zu lernen. Verzeiht falls ich euch störe.“ Zumindest die einfachsten Gepflogenheiten hatte er inzwischen vertieft, auch wenn er diese nur anwandte, um Gawain zu beweisen dass sich durch den Aufenthalt bei den Reitern einiges verändert hatte.
„Ich wusste nicht das ihr jetzt in dem Schloss wohnt Ser Gawain.“

Gawain zeigte ein schmales Lächeln ob Noahs Versuch sich dem Hofe angemessen zu verhalten, ehe er auf dessen Frage reagierte. "Ich bin die Leibwache der Königin Noah. Eines ihrer geschworenen Schwerter. Ein Ritter mit Ehre im Leib. Ich sollte stets in der Nähe meiner Königin sein. Außerdem gibt es keine größere Ehre als in diesem Schloss zu wohnen, nicht wahr meine Liebe?" fragte Gawain leise in Richtung seiner Frau. "Wenn mich die beiden Damen entschuldigen mögen, die Männer haben etwas zu besprechen" seine Stimme war leise, doch seine Frau lächelte nur und hob das Weinglas in seine Richtung, was er als Zeichen der Entlassung interpretierte.
Gawain führte Noah an dem Tisch vorbei, öffnete eine Tür ins Arbeitszimmer und ließ Noah zuerst hindurch, ehe er die Tür hinter sich schloss. "Was hälst du von meiner Tochter?" fragte er schließlich leise, als er den Schreibtisch umrundete und sich Noah gegenüber setzte.

„Nun, ihr Ehemann wird sich später sicherlich glücklich schätzen, sie zu haben.“ Es war die beste Art und Weise auf diese Frage zu antworten, schließlich gab es eine zu breit gefächerte Palette an Antworten, die man missverstehen konnte. Er empfand nichts Besonderes beim Anblick des jungen Mädchens und vermutlich würde Gawain nur froh darüber sein. Sie hatte ein recht junges Gesicht, wirkte aber dennoch gepflegt und hatte einen stattlichen Körperbau. „Mit Verlaub Ser Gawain, aber warum fragt ihr mich danach?“ Die Frage beunruhigte ihn fast noch mehr als die Tatsache, dass er überall im Schloss aufgeregte Personen gesehen hatte, die von einer Tür zur anderen gerannt waren. Fässer die umher gerollt wurden, feines Geschirr das Transportiert wurde und Kämmerer, die die Flure bis in die kleinste Ritze säuberten. Zweifelsohne stand irgendetwas großes an und Gawains Frage warf nur noch mehr Möglichkeiten auf.

"Ihre Gnaden hat entschieden, dass meine Tochter den jungen Fürsten von Feinster heiraten wird. Meine Familie wird ab meinen Enkelkindern in den hohen Adelsstand geboren. Ich war noch nie so stolz" erklärte er und lächelte breit. Seine eigene Schwiegermutter hatte ihm einen Brief geschrieben und sich dort darüber ausgelassen, dass sie im Grunde ihres Herzens immer gewusst hatte, dass Gawain der richtige für ihre Tochter war - spätestens das war ein Gewinn für Gawain gewesen.
"Die Hochzeit wird natürlich noch etwas auf sich warten lassen. Immerhin steht die königliche Hochzeit zwischen Ileana und dem Kaiser Aureas. Immerhin werden unsere beiden Reiche zusammen geführt und keine Hochzeit könnte die kommende überstrahlen. Aber meine junge Blume freut sich nichts desto trotz. Immerhin ist sie Ileanas Brautjungfer erklärte er und lächelte. Als ihm Noahs Gesicht auffiel, blinzelte er. "Noah - Hey Noah, alles in Ordnung?"

Die Nachricht traf ihn wie einen Hammerschlag und für einen Moment driftete er aus der Realität ab, nahm nicht einmal die Frage von Gawain wahr sondern versuchte selbst noch einmal irgend einen Fehler in den Worten zu finden. Doch alles passte zu gut zusammen, als dass ein Irrtum darin liegen konnte und plötzlich wurde ihm klar, wer der Mann war, der zusammen mit Coreen in den Straßen von Ilirea aufgetaucht war. „Das… nun, Ileana ist sicher glücklich darüber, dass sie die Reichen einen kann und somit die Macht des Reiches verstärkt.“ Unweigerlich stützte er sich auf die Tisch vor sich, betrachtete eingehend die Maserung des Holzes, die sich immer wieder veränderte und davon berichtete, aus welchem Teil des Landes der Baum stammen musste. „Ebenso wie eure Tochter, mir scheint in letzter Zeit hat sich das Glück endlich wieder besonnen und denen etwas gegeben, die es verdienen.“ Er wusste nicht was er noch dazu sagen wollte, oder konnte. Er würde mit Ileana darüber im Vertrauten sprechen, sollte er die Möglichkeit erhalten sie einen Moment lang allein sehen zu dürfen. Doch wäre es falsch jetzt einfach in Fassungslosigkeit zu versinken, zumal Ileana und ihn nichts verband außer die Freundschaft und darüber hinaus war sie von hoher Geburt, während er nur ein Schreiner war den das Leben in letzter Zeit in vollkommen andere Bahnen geworfen hatte, als er sie sich vorgestellt hatte.
„Es freut mich wieder hier zu sein, ich hoffe ich habe euch bei den Reitern keine allzu große Schande bereitet, Ser.“

"Keine von der ich erfahren hätte Noah" meinte Gawain lächelnd, während der Blick des alten Ritters unverwandt auf Noah gerichtet blieb. Er spürte durchaus, dass da noch etwas unter der Fassade des jungen, geläuterten Recken brodelte. Ein kleiner Stich, der sich nur all zu schnell entzünden und zu einer tödlichen Infektion werden konnte. Tödlich für ihn oder für andere? - das konnte er nicht mit Gewissheit sagen.
"Noah" begann er schließlich und legte die Hände auf den Tisch, betrachtete den Jungen vor sich. "Ich weiß, dass du etwas für Ileana empfindest. Aber du musst damit abschließen. Sie ist deine Königin und wenn du einmal in meine Fußstapfen treten solltest, so wirst auch du eines Tages an ihrer Seite stehen und über sie wachen. Sie ist eine Königin und die Hochzeit mit Aurea ist wichtig für unser Land" er lächelte. "Das mag dir alles furchtbar ungerecht vorkommen aber ich habe noch eine gute Nachricht für dich. Ich habe mit meiner Gemahlin gesprochen und nun, da meine spße kleine Tochter Fürstin von Feinster wird - nun....
Nachdem die Hochzeit gefeiert wurde werde ich dich zu meinem Erben ernennen. Du darfst mein Wappen tragen wenn du einstmals ein Ritter bist und du erbst das Land meines Vaters und dessen Vaters vor ihm. Du wirst in der Lage sein ein Mädchen des niederen Adels zu ehelichen und einiges an Gold und Besitz geht auch auf dich über."

Den Ärger darüber das Ileana zum Wohle des Reiches heiraten würde und all die Widersprüche die er bereits angesammelt hatte, während Ser Gawain noch gesprochen hatte, waren mit einem Mal wie verfolgen und ihm stockte der Atem. Natürlich hatte er sich schon darüber Gedanken gemacht wie es sein würde, sein Wappen zu tragen und wie er in den Ritterstand entlassen wurde, denn außerhalb des normalen Kampfes gab es allerlei Dinge, die er ihm in meist mehrstündigen Unterrichtsstunden beigebracht hatte. Er hatte erwartet das er ein wenig Geld erhalten würde, um sich dann einen eigenen Namen zu machen, doch das er das Wappen der drei Blumen, zusammen mit dem alten Schloss das Gawain vorher bewohnt hatte später sein eigen nennen dürfte, schockierte ihn dennoch. Es schockierte ihn so sehr, das er abermals das plötzliches Gefühl verspürte, das einem Schlag gleichkam und ihn kurzzeitig lähmte, bis er schließlich wieder die richtigen Worte fand. „Ser Gawain, ihr ehrt mich.“ Er neigte den Kopf, doch sie beide wussten, dass er sich nur mit Mühe solchen Floskeln lange hingeben konnte. „Danke, ich werde alles daran setzten es dem Ruhm zu geben, den es verdient und euer Anwesen nicht nur zu erhalten, sondern aufblühen zu lassen.“
Natürlich sprach in erster Linie der jugendliche Leichtsinn aus ihm, doch war es sein festes Ziel, wenn er erst einmal in den Ritterstand erhoben wurde, dass er alles, was Gawain ihm hinterlassen würde, achten und schätzen würde, als wäre es ein Teil von ihm.

"Solange du mir das verdammte Haus nicht abbrennst ist es mir Recht. Es heißt, der Geist meines Großvaters spukt dort. Wenn du also meinst randalieren zu müssen, so mach das mit ihm aus" erklärte er und lächelte. "Ich möchte betonen, dass diese Entscheidung auf wackeligen Beinen steht und einzig und allein davon abhängt, ob du dich auch weiterhin ehrenhaft verhälst und dich wie ein wahrer Ritter verhälst" erklärte er dem Jüngeren und fuhr sich über die Wangen, welche mittlerweile leichte Bartstoppeln aufwiesen. Er musste sich unbedingt mal rasieren, doch das hatte noch zeit.
Gawain nahm schließlich zwei Gläser und eine Flasche Wein aus dem kleinen Schrank unter dem Tisch und stellte alles vor Noah, öffnete die Flasche und goss ihnen beiden ein.
"Nun Noah, erzähl mir doch bitte was dir bei den Reitern so passiert ist. Du hast abgenommen wie ich sehe und ein wenig Muskelmasse zugelegt"

„Nun ich denke mit einem Geist lässt sich noch reden, zumindest solange er mir die Leute vom Leib hält, die dort nicht gern gesehen sind.“ Er ertappte sich erst als er den Satz ausgesprochen hatte dabei, dass er selbst dies bereits als beschlossene Sache ansah, doch wenn die wichtigste Bedingung war ein guter und ehrenhafter Ritter zu werden, so waren ihm die Gaben von Gawain, die er ihm als seinen Erben vermachen würde, zumindest seiner Ansicht nach, bereits gewiss. „Ich kann euch gar nicht genug danken Ser Gawain, ich meine ich würde, war..“ Als der Ritter ihm das Glas entgegen streckte, das zu einem Viertel mit Rotwein gefüllt war, nahm er kurzerhand einen kleinen Schluck daraus und überlegte dann, was er am besten auf die Frage äußern konnte. Geschehen war allerhand und wo er anfangen sollte wusste er nicht. „Zu Anfang war es alles ein wenig holprig, es gab ein paar kleinere Zwischenfälle, doch habe ich dort einige junge Reiter kennengelernt die sich als gute Freunde heraus stellten, nun ja, auch wenn einige von ihnen recht eigensinnig waren. Und letztlich hatte ich die Ehre mit der Hochmeisterin selbst zu üben, jeden Morgen mehrere Stunden im Schwertkampf und zuvor wurde ich jeden Morgen zusammen mit den Soldaten geweckt.“
Den Vorfall mit dem Schatten ließ er bewusst aus, wollte er diesen Moment der Freude doch nicht durch etwas Derartiges zerstören. Noah wollte sich dem geborgenen Gefühl das er gerade empfand noch ein wenig hingeben, ehe er wieder der kalten Realität gegenüber trat.

Gawain deutete noch einmal auf den Tisch vor sich, während Noah ihn weiterhin aus großen Augen ansah. "Noah es ist wirklich nicht so schwer. Doch wenn die Königin bald heiratet musst du wissen, wie man sich bei einem Gelage verhält" erklärte er leise. "Also noch einmal: Wasch dir die Hände vor dem Essen und fang bloß nicht an ehe nicht der Abt zur Feier sein Gebet gesprochen hat! Und fange auch danach nicht an zu essen, bevor die anderen anfangen. Iss nicht zu hastig, fasse nicht mit beiden Händen in die Schüssel und vermeide es,wenn heiß,  zu blasen. Stopfe nicht ein zu großes Stück in den Mund." er fuhr sich kurz über das nunmehr glatt rasierte Gesicht. "Trink oder sprich nicht mit vollen Mund und auch wenn ich weiß, dass dies früher bei Leuten deines Standes Sitte war - Nage nicht die Knochen mit den Zähnen oder mit den Fingernägeln ab, es gibt wahrlich genug zu essen." er deutete auf eine Tonschale mit Salz. "Tu Salz auf deine eigene Brotscheibe und tunke nicht das Fleisch ins Salzfaß. Schmatze nicht, kratze dich nicht am Leib oder Kopf" er ging dann noch einmal um Noah herum, fuhr diesem durch das lange Haar. "Und mein guter Junge - Pass auf, dass keine sechsfüßigen Tierchen an dir herumkrabbeln. Wisch dir den Mund ab, wenn du den Becher nimmst - ich weiß, dass du das immer vergisst. Wenn du plötzlich niesen oder husten muss, lass allen freien Laut, aber wende dich ab. Auch wenn dir ein Stück deines Tischnachbarn besonders gefällt, nimm es nicht weg." er ging noch einmal um Noah herum und schlug diesem mit einem langen Stock auf die Ellenbogen, die auf dem Tisch ruhten. "Die Ellbogen soll man nicht aufstützen! Und säubere deine Zähne nicht mit der Messerspitze! Das ist ekelhaft und außerdem verlierst du am Ende einen Zahn. Wenn Höhergestellte anwesend sind, schlage die Beine nicht übereinander. Das ist wichtig Noah! Sitz gerade und aufrecht! Ich will nicht, dass du mir Schande machst und denk daran auch den Armen etwas übrig zu lassen" er seufzte schwer und betrachtete seinen Schützling. "Merk dir einfach diesen Reim - den lernt jeder adlige Bursche im Alter von drei Jahren: Greiff auch nach keiner speise mehr, Biß dir dein mund sey worden leer! Red nicht mit vollem mund! Sey messig. Sey in der schüssel nit gefressig"

„Aber, ich, Ser Gawain das ist doch, wenn ich den Ellenbogen nicht auf dem Tisch abstützen kann, wie soll ich dann …? Gerade? Gott ich sitze doch bereits gerade! Nein, nein dann sehe ich doch aus wie ein Kerzenstände!“ der alte Ritter schlug ihn in regelmäßigen Abstanden auf den Rücken oder die Ellenbogen, wenn er die akkurate Haltung vernachlässigte. Für Noah war dies alles eine wahre Folter. Er hatte sich in seinem bisherigen Leben nicht im geringsten darum geschert wie er wohl beim Essen aussehen oder wirken würde, meist war er einfach nur froh gewesen einen vollen Teller oder eine volle Schüssel, samt einen guten Humpen vor sich zu haben. „Gut in Ordnung, was, das Messer? Aber wie soll ich das Messer denn halten? So? Nein … so? Auch nicht … nun gut dann aber … Himmel! Ja okay, so, aber wie soll ich denn jetzt das verdammte Fleisch schneiden? Verzeiht Herr, kein verdammt. Wie soll ich jetzt dieses kulinarisch köstliche Gericht zerkleinern? Was? So kleine Stücke? Wie lange soll ich denn an einem Stück sitzen? Ich dachte das Gelage geht nur über einen Abend und nicht über eine ganze Epoche?“ Als Antwort darauf erhielt er einen harten Klaps auf den Hinterkopf, auf welchen er den Kopf kurz nach vorn zog und in seinem Gesicht zeichnete sich bald eine Grimasse ab. Er gab sich alle erdenkliche Mühe all diese Regeln, all diese Vornehmen Sitten zu lernen und auszuführen, doch gab es anscheinend so viel zu beachten, dass er befürchtete, er würde an Ilieanas Hochzeit stets mit leeren Magen ins Bett gehen.

"Du wirst das schon hinbekommen" meinte Gawain, klang dabei jedoch nicht all zu überzeugt. "Du musst verstehen, Bankette sind Höhepunkte von Hoftagen, Verlobungen, Hochzeiten, Kindstaufen und allerlei solche Dinge. Aber auch Siegeszüge und Turniere sind Anlass für ein ausgiebiges Bankett. Gleichzeitig sind großzügige, verschwenderische Bankette auch ein Mittel um Macht zum Ausdruck zu bringen und genau diese Macht muss Ileana nun beweisen. Und wenn du schon bei solch einem Fest dabei sein darfst musst du dich wie ein Knappe benehmen. Ileana ist an diesem Tag deine Königin, nicht deine Freundin. Sie kann sich vor all den Adligne aus diesem und anderen Ländern keine Schwäche eingestehen. Nicht, wenn sie weiterhin ohne Angst herrschen möchte. Also hör mir bitte zu!" er breitete einen Plan vor Noah aus.
"Ileana wird am Kopfende sitzen, neben ihr Aiko und dann weiterhin ihre Familie. Ihre Ehrengäste - also Solandra und die Leute aus dem Kaiserreich sitzen ihr an der Tafel gegenüber. Die hohen Adligen sitzen in Mitte der Längstseite, Gäste in abnehmender Rangfolge links und rechts daher werde ich nicht neben dir sitzen und muss mich darauf verlassen, dass du alles tust was ich dir beibringe. Da die Hochzeit so riesig sein wird, wird es mehrere kleine Tische geben an welcher oftmals Allianzen geschmiedet werden. Komme niemals einem Tisch der Velaryons zu Nahe, das könnte als Angriff gegolten werden! Allgemein gilt: Je näher die Gäste an Salz und anderen Gewürzen sitzen, desto höher und angesehener ist ihre Person" er kratzte sich an der Nase.
"Das Bankett wird folgendermaßen beginnen: Die Dienerschaft wird feierlich in den Festsaal einziehen. Kämmerer und Edelknappen tragen dann Becken zum Händewaschen und Tücher zum Abtrocknen. Ihnen folgen Diener mit Kerzen und Schenken mit Kannen und Krügen. Anschließend folgen die Sänger und Musikanten." er deutete dann auf einen kleinen Punkt. "Der neue Truchsess ist zuständig für Einhaltung des Protokolls und der Sitzordnung. Die Schenken sorgen für die Getränke und der Fürschneider wird die Speisen zerteilen und jedem auf den Teller geben"

Das was Gawain dem Jungen hier gerade erklärte klang mehr wie ein Schlachtplan, als nach einem angenehmen Abendessen, doch hatte er sich von der Vorstellung dass dieses Spektakel angenehm werden würde, ohnehin schon losgesagt. Er hatte darauf gehofft Ileana noch einmal herzlich umarmen und alles und ihrem Gatten alles Glück der Welt zu wünschen, gefolgt von lauter Musik und einer ausgelassenen Stimmung, gleich dem, was er aus seinen eigenen Verhältnissen kannte. Und eben deswegen war Noah nun beinahe erschlagen von all den Regeln, all den Dingen die er beachten musste, denn ferner als er konnte man dem gesitteten Essen kaum sein. Doch gab er sich dennoch alle erdenkliche Mühe dabei akkurat und vornehm beim Essen auszusehen, griff nicht einfach nach allem was ihn beinahe süffisant angrinste und danach schrie, sofort verschlungen zu werden. „Gut, gut ich glaube ich schaffe es … oder, ihr sagtet man solle das Brot nicht in das Salz tauchen.“ Folglich löffelte er einen großen Haufen Salz auf das Essbesteck und verteilte dies über einen kanten des, nicht abgerissenen, sondern fein abgeschnittenen Brotlaibes. Doch als er diese, akkurat und den Tischmanieren gemäß zu sich nahm, legte sich ein ekelerregender Geschmack über seine Zunge und nur mit Mühe konnte Noah das Essen hinunter schlucken. Er verstand nicht was er falsch gemacht hatte. Zwar hatte er zum ersten Mal Salz, eines der Gewürze der Adligen probiert, doch schmeckte es derart abscheulich, das es ihn noch jetzt schüttelte. „Wartet … das, dass soll etwas sein das man zu Feierlichkeiten ausgibt? Ich habe nur einen ganzen Löffel genommen, Sülze und dergleichen wird, wenn es denn vorhanden ist, noch weitaus deftiger auf das Brot gelegt.“

"Noah, man nimmt höchstens eine Messerspitze Salz" erklärte Gawain leise und fuhr sich übers Gesicht. "Dieser Topf voll Salz ist sein doppeltes Gewicht in Gold Wert Noah. Du hast gerade das doppelte deines Monatsgehalt als Schreiner auf einmal verschlungen" erklärte er dem Jüngeren, der keinerlei Maß und Vergleich zu kennen schien.
"Bitte sei auch vorsichtig was den Rest der Gewürze angeht. Nimm lieber nichts und verlass dich darauf, dass die Speisen gut gewürzt wurden bevor du dich übeschätzt. Ich will niemals sehen, dass du etwas ausspuckst! Du wirst alles unterschlucken!" er setzte sich schließlich neben Noah und klopfte diesem auf den Rücken. "Du wirst einige Speisen zu Gesicht bekommen, die du noch nie gesehen hast und danach nie wieder sehen wirst. Du wirst scharfe und süße Speisen essen und was auch immer du tust - sie sparsam mit dem Wein" er lächelte den anderen an. "Ich vertrau auf dich"

„Das könnt ihr Ser Gawain.“ Ein bekräftigendes Nicken folgte, auch wenn er selbst noch nicht recht daran glauben wollte. Er würde sich so oder so noch einmal die entsprechende Lektüre über die wichtigsten Tischmanieren aus der Bibliothek des Schlosses suchen, denn seit er das lesen und schreiben verinnerlicht hatte, war ihm langsam der Wert dieses Fähigkeiten, zusammen mit dem rechnen, bewusst geworden. Ebenso hatte er bereits angefangen Bücher über die Ritterehre zu lesen, ebenso wie über die wichtigsten Dinge mit man im Schwertkampf beachten musste. Doch am meisten zugetan war er von den alten Geschichten über das Land, die, zumeist zwar überspitzt und idealistisch dargestellt waren, für Noah jedoch stets der Stoff seiner Träume war. Sein Gemüt war inzwischen abgeklungen und der Kopf schwebte, meistens zumindest unter der Wolkendecke, doch wollte er das, was er sich einst erträumt hatte dennoch nicht einfach vergessen und hinter sich lassen und so waren diese Bücher, diese Romane von Helden und tapferen Krieger, von geschickten Männern und Frauen der Welt die nur Gutes im Sinn hatten, genau das richtige um den Glauben des jungen Mannes zu bewahren. „Allerdings weiß ich nicht was ich tun soll wenn einer der Tischnachbarn mit mir reden will. Gleichwohl weiß ich nicht ob es sich schickt, wenn ich nur den ganzen Abend still auf meinem Platz sitze und vor mich hin vegimiere.“
Es war eine allzu große Zahl an neuen Worten die er durch die verschiedene Lektüre gelernt hatte, sodass teilweise Worte ein wenig umstrukturiert wurden. So wurde zum Beispiel aus Attitüde Aplliküde und aus desolat desolner und eben vegitieren zu vegimieren.

"Vegi...? Vegetieren Noah, vegetieren!" erklärte Gawain verzweifelt und schüttelte den Kopf. "Nun, wenn dein Tischnachbar mit dir reden möchte dann antwortest du ihm dementsprechend. Es ist ein Bankett, keine Anhörung und irgend eine Sache wirst du schon finden über die du reden kannst. Doch bitte.... versuch nicht Wörter zu benutzen, welche du noch nicht kennst. Das wirkt... bemüht und weit weniger gewandt, als wenn du diese einfach sein ließest" er stand auf und öffnete eine große Tür zu seiner rechten, offenbarte dort einen großen Saal. Es war normalerweise die Stube, doch waren nun alle Tische und Stühle zur Seite gerückt worden um einen genug Platz zu schaffen.
"Wenn du auf der Hochzeit der Königin anwesend sein möchtest, so wirst du nicht um die wichtigsten Gesellschaftstänze herum kommen. Jeder Ritter muss den Tanz beherrschen um sich auf den Festen der hohen Herrschaften unter ihnen bewegen zu können. Auch für die Minne ist dies unerlässlich. Und nein Noah, es gibt keine Möglichkeit mit Ileana zu tanzen. Das Hochzeitspaar tanzt einen Tanz und danach ist der Platz frei für alle anderen. Ileana auf einen Tanz zu fordern ist eine schwere Beleidigung für den König" erklärte er und winkte Noah herein. "Hast du schon einmal getanzt?"

„Tanzen?“ Er hatte etwas Derartiges in den Büchern über das Rittertum gelesen. Es war sogar ein recht umfangsreiches Kapitel, doch nach den ersten vier Seiten die sich genau auf die Position der Beine und Arme bezogen hatten, hatte er das Kapitel schließlich einfach überblättert. „Natürlich, wie sollte es auch anders sein? Wenn ich an so einem Bankett, an so einer Feierlichkeit, an so einem Gesellschaftlich anerkannten Fest dabei sein will muss ich wohl der übel mittanzen, so wie es der Rest der Gäste auch tun wird.“ Einen Moment lang beneidete er die Wachen, die an diesen Tagen vermutlich einfach nur darauf achten mussten, dass kein Betrunkener sich zu ausschweifend verhielt und kein ungebetener Gast erschien. „Nun… gut.“
Zögernd machte er einen Schritt auf Gawain zu, wobei seine Arme nicht recht wussten wohin, weswegen er sich schließlich einfach nur wie eine Wachfigur vor den Ritter stellte und versuchte das Wissen das er aus den ersten vier Seiten des Buches erlangt hatte, nun auf seine Haltung zu adaptieren, mit keinem allzu großen Erfolg, sodass er schließlich nur die Füße hastig hin und her bewegte, mehr jedoch nicht.

"Was soll das denn werden? Willst du davon laufen?" hakte Gawain nach und hob beinahe erschrocken die Brauen, als ihm Noah dieses seltsame Spektakel zumutete. "Wahrscheinlich wird die Ungaresca getanzt werden. Die Aufstellung sieht folgendermaßen aus: Die Frau steht zur rechten des Mannes und legt Ihre linke Hand in die rechte Hand des Mannes. Die Paare stehen hintereinander in einer Reihe - das nennt man Reihentanz, merk dir das Noah!" Gawain sah den Jungen noch einmal unsicher an und hoffte, dass dieser auch nur ansatzweise etwas von dem Verstehen würde, was nun folgen sollte. "Im ersten Teil des Liedes wird mit dem rechten Fuß begonnen. Man setzt vier Schritte nach vorne - in etwa so: rechts/links/rechts/links" Gawain machte eben jene Bewegung vor, streckte dabei den Rücken durch und hob den Kopf ein wenig um größer zu wirken.
"Wobei der letze, linke Schritt nur noch ein tippen nach vorne ist. Nach dem Tipp wieder vier Schritte zurück, aber diesmal links/rechts/links/rechts. Die Tanzpartner stehen nun wieder an der Ausgangsposition. Kannst du dir das merken?" fragte er und schmunzelte knapp.
"Dann das gleiche Spiel erneut - allerdings wird sich beim letzten Schritt zur Ausgangsposition die Hand des Partners losgelassen und die Tanzpartner drehen sich einander zu. Die Tanzpartner stehen nun wieder an der Ausgangsposition, allerdings Angesicht zu Angesicht. Ganz einfach oder?" er machte die Bewegungne vor, damit Noah sich diese besser vorstellen konnte.
"Kommen wir zum zweiten Teil des Liedes. Die Männer wandern zwei Schritte nach links, die Frauen zwei Schritte nach rechts. Danach wieder zwei Schritte zurück. Mann und Frauen gehen danach aufeinander zu. Der Mann hakt dabei seinen rechten Arm in den rechten Arm der Frau ein. Der eingehakte Arm dient nun als Drehpunkt, das heißt, Wenn Mann und Frau jeweils links aneinander vorbei gehen, wird dabei eine halbe Drehung ausgeführt. Danach steht der Mann auf dem Platz der Frau und umgekehrt. Als letztes werden der erste und der Zweite Schritt wiederholt, wobei danach jeder Partner wieder auf seiner Ausgangsposition steht. Nach der halben Drehung soll beide Partner auch direkt wieder in die Reihentanz Grundstellung zurückfallen, also hält der Mann die Hand der Frau. " er nickte knapp. "Das ganze symbolisiert im übrigen einen Kampf - und ist eine wahre Schlacht. Dieser Tanz ist ein Wettkampf zwischen den Musikern und den Tänzern. Die Musik wird immer schneller und Sieger ist die Partei, am längsten durchhält"

Mit der höchsten Aufmerksamkeit die er aufbringen konnte, lauschte er Gawins Worten und zeichnete sich, so gut es mit den Beschreibungen ging ein geistiges Bild der Tänzer. Viele der Bewegungen widerholten sich im regelmäßigen Takt und die aneinanderlegen der Hand schein das wichtigste zu sein, zumindest war dies der Knotenpunkt, an welchem die Tänzer eine andere Schrittfolge wählten. Er brauchte in paar Anläufe, was hieß ein paar Anläufe, etliche Versuche bis er nicht mehr dem akkuraten Takt von Gawain hinterher hinkte und so immer wieder auf seine Füße trat, doch nach einer Weile erkannte er was das wichtigste bei alledem war. Er dürfte nur nicht aus dem Takt geraten, den Rhythmus der Bewegung schleifen lassen und um Gottes Willen nicht einfach Lachen, wenn irgendetwas schief lief. All dies war bereits während der ersten zehn Minuten ihrer Tanzübung vorgefallen und jedes Mal musste Noah all die Regeln im Kopf wiederholen, um sie genauestens zu behalten. „Ich hoffe, wenn die Gruppe an Tänzern größer ist wird es ein wenig einfacher…“ Murmelte er schließlich, nachdem er nach einer ganzen Stunde den ersten, Ganzen Tanz abgeliefert hatte, mit dem Ser Gawain einigermaßen zufrieden war. „Darf… muss ich Jemanden darum bitten mit mir zu tanzen, oder werden die Tänzer einander zugewiesen? Oder schnappt man sich gar einfach eine Dame, die gerade noch frei steht?“ Den letzten Satz tat er bereits im Kopf mit einem leichten Schütteln ab, denn langsam begann er eine Art Gespür für die wichtigsten Regeln des Adels zu entwickeln.

"Normalerweise finden sich die Paare bereits zuvor zusammen. Solltest du keine Partnerin finden, so wird der Truchsess dir jemanden zuweisen. Doch mach dir darum keinen Kopf. Viele kommen ohne Begleitung und sind daher ebenso darauf angewiesen eingeteilt zu werden. Peinlich ist es nur, wenn du es peinlich werden lässt und es selbst als unangenehm empfindest. Mach dir also darum bitte keinen Kopf" erklärte er und lachte.
Noah hatte sich garnicht mal so dumm angestellt wie Gawain befürchtet hatte. Der Junge war noch immer nicht gut, ja er war gerade einmal annehmbar, aber sie hatten ja noch Zeit zum Üben. "Nun, was jedoch beinahe noch wichtiger ist, die ganze Heraldik der verschiedenen Häuser zu kennen" erklärte er und kratzte sich an der Nase. Da würde noch einiges an Arbeit auf ihn warten. Es gabz unzählige Wappen und während jene der großen Häuser noch einfach zu merken waren, glichen sich jene der kleineren Häuser oftmals wie ein Haar dem anderen. "Was du kennen musst sind die drei wichtigen Regeln - Wappenkunst ist die Regel, wie ein Wappen zu gestalten ist. Wappenkunde ist die Regeln, wie ein Wappen zu lesen ist und das Wappenrecht ist die Regeln, wie ein Wappen zu führen ist" erklärte er dem anderen. Er erklärte Noah die Gestaltung der Wappen, die Bedeutung derer Formen und der Farben. Auch die Bedeutung von Querstreifen, verschiedenen Wappentieren und die Wappen der großen Häuser erklärte er ihm.
"Wie für heraldische Darstellungen typisch wird auch der Löwe stark stilisiert dargestellt. Typische Körpermerkmale wie der Kopf, die Pranken und der Schwanz werden dabei sehr deutlich herausgearbeitet, dagegen wird der Körper in der heraldischen Darstellung stark verschlankt. Insbesondere die typische Mähne des Löwen wird auf wenige Fransen reduziert, teilweise auch ganz weggelassen. Der Löwe steht für Königlichkeit, Stärke und Mut!"

Ihm war von Anfang an bewusst gewesen das die Wappenkunde und dergleichen eine wichtige Rolle im Leben eines Ritters spielte, schließlich würde er sich früher oder später mit seinem eigenen Wappen befassen müssen, selbst wenn er das von Gawain erhielt. Mehr Sorge bereitete ihm jedoch der dicke Wälzer, den Gawain schließlich auf einen der Tische gelegt hatte. Er hatte ein paar Seite lang darin geblättert und war die wichtigsten Häuser kurz durchgegangen, doch selbst dabei gab es derart viel zu beachten, dass er bald nicht mehr wusste ob er überhaupt noch den Mund aufmachen wollte. „Ich bin mir nicht sicher ob ich mir das alles überhaupt in so kurzer Zeit lernen kann.“ Murmelte Noah schließlich leise und schlug das dicke Buch wieder zu. Zahlreiche Seiten waren ganz heraus gerissen oder geändert worden, verständlich bei den allzu schnelllebigen Adelshäusern. „Was bedeuten drei Blumen?“
Er würde das Wappen, wenn er es denn später dürfte mir Stolz tragen, gleich welche Bedeutung es hatte, doch nagte die Neugier nichts desto trotz zu sehr an ihm, sodass diese letztlich obsiegte.