Der See Isenstar

"Vielleicht hast du diese böse Seite an ihm gesehen - die Beeinflussung, der er Untertan geworden ist", schlussfolgerte sie nachdenklich, ließ das blutige Tuch sinken und strich mit den Fingern die geschwollene Haut ihres Gesichtes.
"Komm mit mir, Claudia. Dann bist du in Sicherheit - da wird dir niemand etwas antun wollen."

Claudia schüttelte den Kopf.
"Nein... ich ... es tut mir leid, aber ich kenn dich nicht...
Und... ich weiß nicht - ich will mit alle dem nichts zu tun haben!" sagte sie, war unschlüssig.

"Aber wo willst du denn hin?", fragte Astaya und klang mit einem Mal wieder so wie das Kind, das sie eigentlich noch war.
"Du hast kein Heim, wohin du gehen kannst und ich möchte niemanden leiden sehen, dessen Seele der meinen so sehr gleicht."

"Ich... weiß nicht, zuerst nach Gil´ead und dann mal sehen.. ganz weit weg.. ich hab auf der Landkarte nachgesehen, vielleicht Hedarth..." meinte sie kleinlaut.

"Nein!", fuhr Astaya auf, schüttelte den Kopf und griff nach dem Arm der Älteren. "Geh nich nach Hedarth! Dort ist Julian, dort ist das Böse! Liefer dich ihnen nicht einfach aus", bat sie und Flehen lag in ihrem Gesicht nachdem sie sich zu Claudia umgewandt hatte. "Ich flehe dich an, tu das nicht!"

"Oh..." meinte sie nur, nickte dann jedoch.
"Gut... dann vielleicht Surda? Da findet mich mein Va.. ich meine, da ist es recht warm..." sie grinste schief.

Astaya lächelte, schwieg jedoch zu der Äußerung Claudias und nahm diese als gegeben hin. Es war ihre Entscheidung, wohin sie ging, wusste sie doch, dass ihre Wege sich früher oder später wieder kreuzen würden - sie wollte die andere vor weiterem Schaden bewahren aber das war nur möglich, wenn Claudia es auch zuließ.

Claudia erhob sich, klopfte sich den Staub von den Kleidern.
"Nun, dann... vielen danke für die Hilfe und so..." sie drehte sich um und ging einige Schritte.
"Man sieht sich!" sie hob die Hand zum Abschied in die Höhe, ehe ihr klar würde, dass die andere dies sowieos nicht sehen würde.

"Achte auf deinen Weg, Claudia", lächelte Astaya, neigte noch einmal den Kopf bevor auch sie zurück auf die Füße kam und sich zum Gehen wandte. Für einen Moment dachte sie darüber nach, was sie Kharas erklären sollte woher sie die Verletzungen und blauen Flecke hatte, entschied sich dann dafür es einfach bei der Wahrheit zu belassen - ihm etwas zu verheimlichen hätte keinen Sinn und es wäre unfair ihm gegenüber.

Claudia war bereits einige hundert Meter gegangen, als sie sich umdrehte und auch sah, dass Astaya sich aufgemacht hatte.
Sie hatte niemanden auf dieser welt - und konnte es noch schlimmer werden? Vermutlich nicht, sie lief zurück zu Astaya, nahm ihre hand und drückte freundschafltich zu.
"Warte..." sagte sie leise.
"Ich... will doch mit!"

Die Jüngere nickte lächelnd, erwiderte den sachten Händedruck und führte Claudia weiter zur Stadt, deren Hand noch immer nicht loslassend. Sie wollte dem Mädchen die Sicherheit geben, die es all die Jahre vorher scheinbar nicht gefunden hatte und die es jetzt so dringend brauchte.

Vrael und Astaya flogen sanft über den riesigen See.
Vrael hatte lange Zeit geschwiegen, doch jetzt wo ihr Ziel in Sichtweite kam, beschloss er das schweigen zu brechen.
"Dein Vater liebt dich wirklich sehr, er würde alls dafür geben um dir in sicheres Leben zu ermöglichen!"

Müde von all den Worten, die sich ohnehin nur stetig wiederholten, schwieg Astaya, weil sie wusste, dass egal, was sie sagen würde, es aufs Gleiche hinauslaufen würde. Man würde ihr versichern, dass es doch so war und dass ihre Sicht momentan nur getrübt war - dass sie vielleicht sogar älter werden oder sich beruhigen sollte um sich darüber bewusst zu werden. Aber all die Worte änderten überhaupt nichts daran, dass das Gefühl, dass sie ihm im Weg war, sie immer wieder überwältigte und ihr zu denken gab. Dieses Gefühl begleitet von der Frage, ob er befürchtete, dass sie eines Tages ebenso dem Schatten anheim fallen würde, wie es der Rest ihrer Blutsverwandtschaft getan hatte.

"Ich... ich bin auf deiner Seite Astaya, tut mir leid wenn ich dir das Gegenteil vermittelt habe!" er schaute etwas nach hinten um ihr in die Augen zu sehen.
"Wir sind gleich da, willst du noch etwas persönliches sagen?"

Für einen Moment hob Astaya verwirrt ob der Frage den Kopf, blinzelte und zwang ein schwaches Lächeln auf ihre Züge. Sie war ungerecht Vrael gegenüber und das wusste sie, doch eine Erklärung zu finden, weshalb viel ihr noch viel schwerer als das leise "Danke, dass du da bist" zu sagen, das sich über ihre Lippen gedrängt hatte.
Gab es noch irgendetwas, was sie Vrael hatte sagen wollen? Viel über das sie keine Worte fand und so beließ sie es dabei, konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Weg, der noch vor ihnen lag.

Astaya war fortgeeilt, weg von Astaya und Reznov - sie wollte zum einen einen klaren Kopf bekommen, zum anderen wollte sie Vrael nicht gefährden.
Die Nacht lag ruhig da, der Mond spiegelte sich auf der glatten Oberfläche des Sees.


Schuhuuuu rief plötzlich eine Stimme.
Schau mal einer an!

Sie trat langsam näher auf den See zu, ließ sich zu Boden sinken und streckte die Beine aus, die Stimme, die plötzlich zu ihr hinüber drang fürs Erste vollkommen ignorierend. Wer auch immer mit ihr sprechen wollte würde Zeit finden zu warten bis auch sie soweit war und antworten wollte. Noch immer schweigend fuhr sie sich durch die Haare, registrierte die Feuchtigkeit, die der herabfallende Schnee in den blonden Wellen hinterlassen hatte. Sie hatte nicht gedacht, dass es so enden würde.

Die seltsame Eule plusterte sich auf, drehte den Kopf um 180° zuerst nach links, dann nach rechts ehe sie aufgeregt mit den Flügeln schlug.
Sie grinste unheimlich breit und offenbarte dabei seltsamer weise eine Reihe von Zähnen.
Schuhuuuu

"Sei mir gegrüßt, werte Eule", begrüßte sie nun erst den nächtlichen Störenfried und wandte sich langsam zu dem Tier um, neigte sacht den Kopf. Eulen waren weise Geschöpfe - das war es zumindest, was ihr seither immer beigebracht worden war und sie ehrte jene Weisheit, die diese Tiere mit sich brachten, dennoch ... hatte die Eule zuvor nicht etwas gesagt oder spielte ihr wirrer Verstand ihr nun auch noch einen Streich inmitten dieser dunklen Nacht.

Anstand? Welch seltenes Gut bei euch kurzlebigen Wesen! gab die Eule zurück.
Legte den Kopf schräg und schlug ausladend mit ihren Flügeln.
Ich bin geradezu entückt von eurem Auftreten, Astaya Kharastochter!
Sie tänzelte etwas auf dem kleinen, schmalen Ast hin und her welcher fiel zu schwächlich für die dicke Eule zu sein schien.

"Der Anstand und die Höflichkeit ist ein wertvolles Gut zu diesen Zeiten, werte Eule", erwiderte Astaya freundlich während sie sich wieder erhob und zu der Eule hinüber trat. Kurzlebig ... das waren die Menschen wahrlich, verglichen mit dem langen Leben der Zwerge oder der Unsterblichkeit der Elfen und wenn sie noch einmal darüber nachdachte, war dieser Gedanke tröstlich.
"Ihr wisst bereits, wer ich bin doch wärt Ihr so freundlich mir auch Euren Namen zu sagen? Es scheint mir unhöflich Euch nur mit werte Eule anzusprechen."

Mein Name? fragte die Eule und hob die Augenbrauenpartie, was ihr ein lustiges äußeres verlieh.
Die Frage scheint mir klein
Für eine, die das unnötige Wort so sehr verachtet,
Die, weit entfernt von allem Schein,
Nur in der Wesen Tiefe trachtet. zitierte sie dann einen berühmten Dichter.
Anscheinend war Astayas gegenüber nicht nur eine sprechende, sondern auch noch eine literarisch bewanderte Eule.
Aber für den Zweck unserer Unterhaltung nennt micht.... sie plusterte sich auf.
Schuhuuu

Durch die dunke und kalte Nacht sah man einen Mann mit zwei Pferden und einem Wagen auf den See zulaufen.
"Ihr bekommt gleich was zu trinken..." sprach er und klopfte einem der Pferde auf den Hals.
"Die Reise war anstrengend aber ich denke es hat sich gelohnt."
An dem See angekommen löste er die gürtel des Pferdes das es sich frei bewegen konnte.
"Nunlos geh was trinken." meinte er zu dem Pferd das sich, wie als hätte es ihn verstehen können, zum See aufmachte um was zu trinken.
Horus blickte einmal mehr auf seinen Wagen um zu überprüfen ob noch alles da war.

"Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen, Schuhuuu", erwiderte sie schmal lächelnd, kam aber nicht mehr dazu noch eine weitere Frage zu stellen, wurde sie doch in diesem Moment von einer jungen Männerstimme aufgeschreckt und wirbelte herum. Der Mann dort war ihr fremd und auch sein Geist entzog sich ihrem eigenen - etwas, das ihr bislang nur selten geschehen war. Dennoch ... so wie er mit seinen Tieren sprach konnte er nicht von der Dunkelheit verdorben sein.

Schuhuuu schlug mit den Flügeln.
Keine Angst, er wird uns nichts tun! meinte die "Eule" und erhob sich dann von ihrem Ast, flog auf Astaya zu.
Was die Blinde nicht sehen konnte, war die Eule zuvor fünfmal so groß gewesen wie ein gewöhnliches Tier - so landee nun eine äußerst kleine Eule auf Astayas Schulter, gerade so groß das es nicht weiter störend war.
Schuhuuuu