Die Eingangshalle

Die eher kleine, unscheinbare Eingangshalle, in der keinerlei Möbel stehen. Ein Gang führt von der Türe, durch die Halle hindurch, bis zur größeren, beeindruckendere Empfangshalle.

Ein lautes Pfeifen war zu hören und ein hochgewachsener Mann schritt vor einer Karte, die ganz Alagäsia zeigte auf und ab. "Sie haben meinen Bruder und meinen Vater umgebracht..." Der junge Mann kaute angestrengt auf seiner Unterlippe herum und spielte mit einem Dolch in seinen Händen. "Was soll dies alle? Wir waren zahlenmäßig überlegen! Wir hätten den schnellen Sieg erringen müssen! Nun sind wir gezwungen taktisch vorzugehen, Hinterhalte zu legen und und und ..." Bloodwyn wedelte wild mit den Armen umher. "Doch Vaters Versagen wird nicht mein Versagen sein, nein ich werde dieses Land in Windeseile erobern. Schließlich ist Rückzug keine Option, wir haben uns schon viel zu lange mit diesen Aufständischen hier herum geärgert."

"Bloodwyn!", erklang eine helle, eindeutig weibliche Stimme wenige Meter hinter dem jungen Mann und wurde abgelöst von eiligen Schritten, die die dazugehörige schmale Gestalt auf den anderen zumachte ehe sie die Arme um ihn schlang. Während des Gefechts um Teirm und um das Lager, in dem man sie eingesperrt hatte, hatte Akemi die Möglichkeit des Aufruhrs genutzt, mit Hilfe einiger anderer Gefangener die Wachen niedergeschlagen ehe sie die Flucht ergriffen hatte. Es war wohl ihr Glück, dass sie während dem ziellosen Umherirren in diesem fremden Land von einer kleinen Kohorte aufgegriffen worden war, die sie, nachdem sie ihnen bestätigt hatte, dass sie kein Feind war, hierher gebracht hatten - zu ihrem älteren Bruder, dem einzigen, der von ihrer Familie hier noch anwesend war, von dem sie wusste.
Zitternd hefteten sich Akemis Finger in den dicken Stoff seiner Kleider, suchten dort nach Halt und Sicherheit, die sie zum ersten Mal seit Monaten wieder empfand, hatte sie doch die letzte Zeit in ständiger Angst davor gelebt, entdeckt und zurück zu den grausamen Menschen gebracht zu werden. Menschen, die in ihr nur ein Ding gesehen hatten, die ihren Geist durchsucht hatten und immer wieder mit Schmerz und Leid gedroht hatten, wenn sie sich ihnen widersetzen wollte. "Du bist hier", wisperte sie mit leiser Stimme während ihr die dunklen Strähnen in das dreckige, teilweise geschwollene und von blauen Flecken übersäte Gesicht fielen.

Die Tür zur Eingangshalle wurde aufgestoßen, krachte donnernd gegen die Wände das die Scharniere knarzten.
Die Schritte eines großen Mannes durchhallten die gesamte Eingangshalle als die dazugehörige Gestalt mit flatterndem, halb über die Schulter gespannten Mantel auf die beiden anderen, kleineren Gestalten zuschritt und seine Augen die beiden prüfend musterten.
"Wir werden den Schmach den mein Bruder über unsere Familie gebracht hat zurück zahlen!" versicherte die kräftige Stimme des Mannes und er nickte ernst als er zu seinen Nichte und seinem Neffen sah.
"Seine Majestät war nicht erfreut über das Versagen eures Vaters, ich wurde mit fünftausend Mann zur Verstärkung geschickt" er stockte, als sein Blick diesmal genauer auf Akemi fiel und er näher zur ihr heranschritt, sich hinabbeugte.
"Was habe sie mit dir getan mein Kind?" fragte er und diesmal war jegliche Härte aus seiner Stimme gewichen die zuvor noch Platz darin gefunden hatte

Als die Türen donnernd aufflogen und wenig später feste Schritte erklangen, fuhr Akemi zusammen, verstärkte ihren Griff um ihren Bruder noch einmal während sie mit sich haderte, ob sie zurückblicken sollte oder nicht. Es konnten erneut diese Männer sein, die ihr all diese Dinge angetan hatten, die sie gezwungen hatten ihrem Willen zu gehorchen, dann jedoch erklang die warme Stimme ihres Onkels und das Mädchen fuhr herum, richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn hinüber und fiel im nächsten Moment ihm um den Hals.
"Sie haben ...", begann sie leise während erneut die Tränen in ihre Augen traten und bleiche Spuren in dem Gesicht des Mädchens hinterließen als sie über ihre Wangen rannen. "Sie haben mich ... geschlagen, sie waren in meinem Kopf", begann sie dann stockend zu erzählen und verkrampfte sich im nächsten Moment wieder. "... und ..." Sie wagte es nicht weiterzusprechen, schüttelte stattdessen den Kopf während sich ihre leise Stimme in dem Schluchzen verlor. "... ich wollte das nicht ... ich hab geschrien und es hat sie nicht interessiert ... sie haben gelacht und weitergemacht ... immer wieder ... immer mehr ..."

"Diese miesen, verlogenen Schweinehunde!" Brüllte Bloodwyn und warf vor Wut einen nahe stehenden Tisch um. "Wir bieten ihnen Ordnung und System, wohlstand und Frieden. Doch alles was sie tun ist auf unsere Ehre zu spucken!" Er sah einen für kurzen Moment nach links und rechts, wusste nicht recht wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Verzweifelt umarmte er seine Schwester. "Du bist jetzt in Sicherheit... Vaters Tod und der unseres Bruders wird bald gerächt werden..." Schwer atmend und mit leicht geröteten Augen blickte er nun zu Sentenza. "Was steht ihr hier noch herum? Geht und zerstört die Dörfer dieser Wilden, ihr habt fünftausend Mann hinter euch! Sie haben unser Angebot oft genug abgelehnt, ich werde nicht so lange warten wie mein Vater. Sie wollen Krieg? Den können sie bekommen! Tötet alle Aufständischen und legt den Rest in Ketten!"

Bloodwyns geifernder Ausbruch wurde mit einer Ohrfeige seitens Sentenza zum schweigen gebracht welcher den Jungen am Kragen packte und finster Anstarrte.
"Hüte deine Zunge Neffe! Genau das war die Taktik mit der dein Vater seinen Untergang besiegelt hat! Willst du es ihm denn gleichtun? Willst du unsere Männer ziellos angreifen lassen und uns alles verderben? Deiner Schwester wurde schreckliches angetan und es ist deine Pflicht dich um sie zu kümmern!" er stieß ihn zurück, warf ihn somit auf den Boden ehe er sich wieder Akemi zuwandte, diese liebevoll in den Arm nahm und über den Kopf streichelte.
"Das wird alles wieder Akemi, du bist hier in Sicherheit ich werde nicht zulassen das auch nur irgendeiner dir etwas antut!"

"Wag es nicht in diesem Ton mit mir zu reden Onkel! Du magst älter sein als ich aber gemäß der alten Tradition ging das Kommando über diese Expedition, als mein Vater die Augen schloss an mich über!" Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Sentenza kritisch. "Was bildet er sich ein? Schlecht über Vater zu reden... er war sein Bruder und ein großer Feldherr! Er starb wie ein Krieger an vorderster Front! Sicherlich waren nicht alle seine Züge sorgfältig durchdacht doch..." Genau an diesem Punkt fehlten Bloodwyn die Argumente um sich weiterhin von der Kompetenz seines Vaters zu überzeugen, weswegen er das ganze mit einem Kopfschütteln abtat. "Nun, wenn ihr eine derart harte Kritik anbringt nehme ich an, das ihr bereits einen Plan aufgestellt habt mit dem wir diesen Krieg gewinnen können?"

Still hatte Akemi zwischen den beiden Männern gestanden, hatte es kaum gewagt den Mund aufzumachen aufgrund der Befürchtung, der Zorn beider Verwandter könnte sich dadurch auf ihr entladen. Als nun Bloodwyn jedoch zu einer Antwort ansetzte von der selbst sie begriff, dass sie wenig intelligent gewesen war, hob sie bittend den Blick zu ihrem Onkel hinauf und griff nach dessen Hand. "Bitte, nicht streiten, Onkel", flehte sie und schüttelte den Kopf, wobei ihr erneut ein paar dunkle Strähnen in das Gesicht fielen und auch ihre dunklen Augen verdeckten.
"Bitte, ich will nicht, dass du dich mit Bloodwyn streitest ... ich will das nicht ... sie haben andauernd gestritten und ich kann es nicht mehr hören, bitte", fügte sie hinten an, in der Hoffnung, sie könne Sentenza damit davon abbringen, Bloodwyn erneut zu Boden zu werfen oder ihn am Kragen zu packen.

Sentenza sah Akemi kurz an, ehe sein Blick zu Bloodwyn glitt und er langsam nickte.
"Wir werden uns nicht streiten..." versprach er Akemi leise, hielt ihr seine Hand hin an die sie sich klammern konnte ehe er seinen Blick zu Bloodwyn wandte und diesem fest in die Augen sah, nicht gewillt dem jüngeren klein bei zu geben.
"Ich habe mich mit dem befasst was ich am besten kann - psychologischer Kriegsführung" erklärte Sentenza leise und verlagerte das Gewicht auf ein Bein, ehe er weitersprach.
"Wir werden uns sowohl einer Attentätergilde bedienen als auch den Bruder des Königs für unsere Machenschaften einsetzen - er ist krankhaft Eifersüchtig auf seinen Bruder und das wird uns zum Vorteil gereichen"

"Wir werden uns nicht streiten.. als ob du das zu bestimmen hättest du alter, närrischer Mann." Doch seiner Schwester zu liebe ließ er das Thema vorerst auf sich beruhen und hinterfragte stattdessen die Aussage seines Onkel. "Sentenza ihr sagt dies alles als würdet ihr die Leute persönlich kennen. Wir hatten schon Kontakt zu dieser Gilde, doch auch nur recht kurz und bisher haben sie uns kaum geholfen. Und dieser Bruder des Königs, woher wisst ihr das er uns nicht im nächsten Moment das Messer in den Rücken rammen möchte?" Bloodwyn ging zu einem kleinen Tisch hinüber auf dem eine Obstschale stand und griff nach einer Weintraube. "Und dies soll schon alles sein? Das ist euer großartiger Plan mit dem ihr dieses Land einnehmen wollt?"

Sentenza nahm sich einen Apfel und biss hinein ehe er sich seiner Antwort widmete.
"Du verstehst mich Falsch Neffe, ich weiß das uns der Bruder des Königs einen Dolch in den Rücken rammen möchte - also werden wir ihn beiseite schaffen wenn er seinen Dienst getan hat und was dein Vater getan hat oder nicht wird hier nicht als Paradebeispiel dienen haben wir uns verstanden?" er nahm einen weiteren saftige bissen ehe er den Apfel während weiterer Erklärung immer wieder hoch warf und auffing.
"Und immerhin ist mein Plan wohl ausgefeilter als deiner nicht wahr? Losstürmen und alles töten - detailverliebt wie immer!"

"Können wir nicht ... aufhören schon wieder über Mord und Krieg zu sprechen?", bat Akemi nach einer Weile und wechselte ihre Aufmerksamkeit von Bloodwyn erneut hinüber zu ihrem Onkel, dessen Hand sie noch immer umklammert hielt, als wäre diese ihr einziger Rettungsanker. Sie hatte auf dem Weg, den sie gemeinsam mit den Soldaten ihres Vaters bestritten hatte, vom Tod eben dieses und ihres Bruders erfahren, hatte erfahren, wer diese umgebracht hatte und obgleich sie befürchtet hatte, sie würde Zorn und Trauer empfinden, so war es jetzt lediglich ein drückendes Gefühl der Leere, das sie spürte. Ein Gefühl, das sie gleichzeitig müde machte und sie ihre Erschöpfung deutlicher spüren ließ als zuvor noch als sie auf Reisen gewesen war.
"Ich bin müde ...", ließ sie verlauten, hoffte damit inständig die beiden Streithähne davon abbringen zu können weiter auf dem Gegenüber herum zu hacken. Sie hatten unterschiedliche Meinungen, nicht zuletzt auch aufgrund all des Altersunterschiedes, der zwischen ihnen bestand. "... aber ich ..." Erneut glitt ihr Blick hinauf zu Sentenza, in dessen Gegenwart sie sich momentan geborgener fühlte als in der Obhut ihres Bruders, dessen Herz in diesem Moment weniger von der Sorge um sie, als von dem Zorn auf die Feinde regiert wurde. "... ich will nicht allein sein ..."

Langsam wandte sich Sentenza zu Akemi um und schenkte seiner Nichte leise ein Lächeln ehe er nickte und den Griff um ihre Hand festigte ehe er sich zu seinem Neffen umwandte.
"Tue vorerst was du willst und ernte was du säst, ich werde mich mit Akemi zurückziehen" dann drehte er sich langsam um, ließ dabei den Groll und die Wut auf den jüngeren ebenso hinter sich wie auch diesen selbst als er mit Akemi langsam durch das fremde Gemäuer streifte, vorbei trat an Monumenten längst vergessener Geschichten die er nicht kannte, vorbei an Architektur die ihm so fremd vorkam das er sich fühlte als wäre er auf einer anderen Welt. Mit jedem seiner Schritte ließ er auch etwas von dem hinter sich was er auf der Fahrt angestaut hatte - die Wut und Enttäuschung über die Verfehlung seines Bruders schlug langsam um in bedauern und Trauer ob des Verlustes seines älteren Bruders während er seinen Blick kurz über Akemi streifen ließ. Ihr war schreckliches angetan worden und er würde für sie da sein, für seine ganze Familie da sein und ihren Ruf vor dem König rein waschen. Hier stand alles auf dem Spiel und Akemi würde nie mehr zurück können wenn sie hier keine Erfolge aufzeigen würden.
Seine blauen Augen starrten aus einem der Fenster auf die Wüstenlandschaft.
Sie würden sich nicht unterkriegen lassen