Es war einer jener wunderschönen Herbsttage, wie sie so oft in Geschichten und so selten im wirklichen Leben vorkommen. Es war warm und trocken, ideales Wetter, dass Mais und Weizen reiften. Beiderseits der Straße färbte sich das Laub der Bäume. Die Kronen der hohen Pappeln waren nun buttergelb, und die am Straßenrand wuchernden Gerbersträucher hatten knallrote Blätter bekommen. Nur die alten Eichen schienen den Abschied vom Sommer noch hinauszuzögern, und ihr Laub war noch zu gleichen Teilen golden und grün. Alles in allem hätte man sich keinen schöneren Tag erhoffen können, um sich von einem halben Dutzend ehemaliger Soldaten, die mit Jagdbögen bewaffnet waren, die gesamte Habe abnehmen zu lassen. „Sie ist doch nur noch ein alter Klepper, Sir“ flehte Christoph den Kommandanten an. „Ein besseres Zugpferd, weiter nichts, und wenn es regnet-“ Der Mann schnitt ihm mit einer energischen Geste das Wort ab. „Hört mal zu, mein Freund: Das Heer der Königin zahlt gutes Geld für alles, was vier Beine und mindestens noch ein Auge hat. Doch selbst ein Steckenpferd hätte ich Euch abgeknöpft, wenn Ihr so verrückt gewesen wärt, hier mit einem anzukommen.“ Der Anführer, in der rot-schwarzen Rüstung der Velaryons hatte etwas Gebieterisches an sich. Christoph vermutete, dass der Offizier wohl bei dem Angriff Ryan Velaryons auf Teirm geflohen war. Er wusste zwar nichts genaues, doch es hieß, dass Ser Velaryon alle Offiziere die versucht hatten die Bevölkerung der Stadt zu beschützen hatte töten lassen. „Nun steigt schon ab“, sagte er in ernstem Ton. „Wir bringen das jetzt hinter uns, und anschließend dürft Ihr wieder Eurer Wege ziehen.“ Christoph stieg vom Pferd. Er war schon öfter beraubt worden und wusste, wann es nichts brachte zu debattieren. Diese Kerle wussten, was sie taten. Sie verschwendeten keine Energie darauf, den starken Mann zu markieren oder leere Drohungen auszustoßen. Einer von ihnen sah sich das Pferd an, überprüfte Hufe, Gebiss und Geschirr. Zwei andere durchsuchten mit soldatischer Gründlichkeit die Satteltaschen des Chronisten und legten sein Hab und Gut auf den Boden. Zwei Decken, ein Umhang mit Kapuze, die flache Ledermappe und sein schwerer, wohlbestückter Reisesack. „Das ist alles, Sir“, sagte einer der Männer. „Von etwa zwanzig Pfund Hafer mal abgesehen.“ Der Anführer kniete sich hin, öffnete die Ledermappe und sah hinein. „Da sind nur Papiere und Federn drin“, erklärte Christoph seufzend. Der Anführer sah sich zu ihm um. „Dann seid Ihr also Schreiber?“ – „Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt, Sir. Und es ist für Euch nur von geringem Nutzen.“
Der Mann sah die Mappe durch, überzeugte sich davon, dass es stimmte, und legte sie beiseite. Dann kippte er den Inhalt des Reisesacks auf den ausgebreiteten Umhang und kramte darin herum. Er nahm sich einen Gutteil des Salzvorrats und ein Paar Schnürsenkel. Der Anführer ließ alles Übrige auf dem Umhang liegen und erhob sich. Dann schauten sich die anderen nacheinander die Besitztümer Christophs an. Der Anführer sagte: »Du hast doch nur eine Decke, nicht wahr, Janns?“ Einer der Männer nickte. „Dann nimm dir eine von seinen. Wenn der Winter kommt, brauchst du eine zweite Decke.“ - „Sein Umhang ist in besserem Zustand als meiner, Sir.“ - „Nimm ihn, aber lass ihm deinen da. Das gilt auch für dich, Witkins: Lass ihm deine alten Feuersteine da, wenn du ihm seine nimmst.“ „Ich habe meine verloren, Si“, sagte Witkins. „Sonst gerne.“
Das Ganze lief erstaunlich zivilisiert ab. Christoph wurde bis auf eine all seine Nadeln los, sein zweites und drittes Paar Socken, ein Päckchen Dörrobst, einen Zuckerhut, eine halbe Flasche mit einer alkoholischen Flüssigkeit und zwei Würfel aus Elfenbein. Sie ließen ihm seine übrigen Kleider, sein Dörrfleisch und einen zur Hälfte schon verspeisten Laib trockenen Roggenbrots. Seine Ledermappe wurde nicht angerührt. Während die Männer diese Reste wieder in den Reisesack stopften, wandte sich der Anführer an Christoph: „Dann mal her mit dem Geldbeutel.“ Christoph seufzte. Sie raubten ihn gänzlich aus und wenngleich er auch wusste, dass es auch den Soldaten momentan nicht gut ging machte es all dies nicht besser. „Und den Ring auch.“ Befahl der Soldat. „Da ist kaum Silber drin“, murmelte der Christoph und drehte sich den Ehering vom Finger. „Was habt Ihr denn da um den Hals?“ Der Schreiber knöpfte sich das Hemd auf und zeigte eine stumpfe Metallscheibe in Form einer stilisierten, aufgehenden Sonne, welche an einem Lederband hing. „Das ist nur Eisen, Sir.“
Der Anführer kam näher, rieb die Metallscheibe zwischen zwei Fingern und ließ ihn dann wieder los. „Den dürft Ihr behalten. Ich stelle mich nicht zwischen einen Mann und seinen Glauben“, sagte er und kippte sich den Inhalt des Geldbeutels in die hohle Hand. Er stocherte mit einem Finger in den Münzen herum und gab einen angenehm überraschten Laut von sich. „So ein Schreiber verdient ja besser, als ich dachte“, sagte er und zählte die Anteile seiner Männer ab. „Ihr könnt mir nicht zufällig ein oder zwei Kupfer lassen?“ fragte Christoph leise. „Nur genug für ein paar warme Mahlzeiten?“ Die sechs Männer sahen sich zu Christoph um, als könnten sie nicht so ganz glauben, was sie da gerade gehört hatten. Der Anführer lachte. „Potzteufel, Ihr habt aber wirklich Arsch in der Hose.“ In seinem Tonfall schwang widerwilliger Respekt mit. „Ihr scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein“, sagte Christoph mit einem Achselzucken. „Und der Mensch muss ja schließlich irgendetwas essen.“ Der Anführer lächelte zum ersten Mal. „Da werde ich Euch nicht widersprechen.“ Er nahm zwei Kupfer und steckte sie mit großer Geste in den Geldbeutel des Schreibers zurück. „Zum Lohn für Euren Wagemut.“ Er warf ihm den Beutel hin. „Vielen Dank, Sir“, sagte Christoph. "Ihr solltet wissen, dass die Flasche, die einer Eurer Männer mir genommen hat, Holzgeist enthält, den ich zum Reinigen meiner Federn verwende. Ich kann nur davon abraten, das zu trinken.“ Der Anführer lächelte und nickte. „Seht ihr, was dabei rauskommt, wenn man die Leute anständig behandelt?“, sagte er zu seinen Männern und bestieg sein Pferd. „Es war mir ein Vergnügen, Sir. Wenn Ihr gleich aufbrecht, schafft Ihr es noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Therinsford“
Als Christoph ihren Hufschlag in der Ferne nicht mehr hören konnte, packte er seinen Reisesack und achtete darauf, dass alles gut verstaut war. Dann zog er sich einen Stiefel aus und zupfte erst das Futter daraus hervor und dann ein eng eingewickeltes Münzpäckchen, das in seiner Stiefelspitze gesteckt hatte. Er tat einige dieser Münzen in seinen Geldbeutel, öffnete dann seine Hose, zog unter etlichen Kleiderschichten ein weiteres Münzpäckchen hervor und tat auch daraus einiges in seinen Beutel. Entscheidend war, dass man immer den richtigen Betrag im Geldbeutel hatte. War es zu wenig, waren sie enttäuscht und suchten womöglich woanders nach mehr. War es zu viel, so gerieten sie außer Rand und Band, und man weckte womöglich ihre Gier. Ein drittes Münzpäckchen war in den trockenen Brotlaib eingebacken, für den sich nur der allerverzweifeltste Räuber interessieren würde. Dieses ließ er vorerst unangetastet, wie auch die Silbermünze, die er in einem Tintenglas versteckt hatte. Im Laufe der Jahre war sie ihm immer mehr wie ein Talisman erschienen. Niemand hatte die Münze je entdeckt. Er musste zugeben, dass dies der wohl zivilisierteste Raubüberfall gewesen war, den er je erlebt hatte. Sie waren höflich mit ihm umgegangen, hatten ihn zügig abgefertigt und waren nicht allzu gemein gewesen. Dass er sein Pferd samt Sattel eingebüßt hatte, war ein schwerer Schlag, aber er konnte sich in Therinsford ein neues kaufen. Einem dringenden Bedürfnis folgend, schob sich der Schreiber zwischen den blutroten Gerbersträuchern am Wegesrand hindurch. Als er sich die Hose wieder zuknöpfte, regte sich plötzlich etwas im Unterholz, und eine dunkle Gestalt brach aus einem nahen Gebüsch hervor. Christoph wich zurück und schrie erschrocken auf, ehe ihm klar wurde, dass es bloß eine Krähe war, die die Flügel breitete. Über seine eigene Torheit lachend, richtete er seine Kleider und ging zwischen den Gerbersträuchern hindurch zurück auf die Straße, wobei er Spinnweben fortwischte, die ihm kitzelnd im Gesicht hängen blieben. Als er seinen Reisesack und seine Mappe schulterte, stellte der junge Mann eine bemerkenswerte Unbeschwertheit an sich fest. Das Schlimmste, was passieren konnte, war passiert, und so schlimm war es gar nicht gewesen. Ein leichter Wind kam auf und zauste die Baumkronen, und Pappelblätter trudelten wie Goldmünzen auf die ausgefurchte Straße hinab. Es war ein schöner Tag.