Kleiner Gang

Nach einiger Zeit kamen sie schließlich an einen Punkt, wo sich die Halle in verschiedene, kleine Gänge aufteilte und das Mädchen nahm Noah bei der Hand, ehe es den Linken wählte und Noah somit durch einen Gang führte, der unzweifelhaft außerhalb des Tempels lag. Kalter Frost war auf dem Boden zu sehen, welcher diesem in ein sanftes weiß hüllte und von der Höhe sprach, in welcher sie sich befanden. Säule an Säule waren aneinander gereiht, alle waren aus rot und schwarz lackiertem Holz auf welchem dunkle Zeichen aufgemalt waren. Kalter Wind schien Flüstern durch die dünnen Ritzen zu tragen, welche zwischen den Säulen zu sehen waren. Kinderlachen, das flüstern von Erwachsenen ohne das Noah das Gesagte hätte verstehen können. Immer weiter zog die Gläubige ihn, ehe sie den Kopf zu ihm umwandte.
"Wieso willst du zu uns kommen" fragte sie leise während sie den schier endlosen Weg weitergingen, welcher sich immer wieder schlang und es so unmöglich machte abzuschätzen wie lange er noch war.

„Warum?“ Nun einen Augenblick lang fragt er sich dies selbst als er sich umsah. Er spürte kein zögern, es war nichts derart schwaches, doch nichts desto trotz wusste er nur wenig über den Ort an dem er war, sowie über die Leute die sich hier befanden, weswegen eine Antwort darauf ebenso schwierig wie auch heikel war. Sie würde kurz ausfallen, wenn ihm überhaupt etwas bis auf ein Schulterzucken einfallen würde. „Nun ich habe mich selbst nicht wirklich dafür entschieden hier her zu kommen, auch wenn ich der Herrin dankbar dafür bin das sie mich hierher gebracht hat. Vielleicht hat sie mich gesehen in diesem Moment als ich in der Kirche war und für etwas betete, das ich selbst zu verschulden hatte. Aber ich denke ich bin hier, weil ich hoffe einen festen Stand in der Welt zu finden und endlich Akzeptanz finden kann.“
Das seltsame Farbenspiel um ihn herum fesselte ihn eine ganze Weile lang gebannt, weswegen sein Blick stets nur ein paar Sekunden lang auf der jungen Frau lag.

"Die Herrin hat dich nicht hierher geholt. Das warst du ganz alleine. Du kannst den Tempel nicht betreten, wenn du es dir nicht aus ganzer Seele wünschst. Was auch immer dein Grund war hierher zu kommen, er war aufrichtig und das Richtige. Was du dir wünschst wirst du hier finden" versprach sie ihm, während der Weg sich noch weiter zog. "Du wirst gereinigt werden müssen von dem was vor dir liegt, dorthin sind wir auf dem Weg" erläuterte sie ihm das weitere vorgehen. Er würde loslassen und sich von all den Altlasten befreien müssen wenn er wahrlich ein Jünger der Arcanea werden wollte. Ein Vorgang der den wenigsten leicht fiel, jedoch unumgänglich war.
Während sie um eine weitere Ecke bogen hörte Noah mit einem Mal wie sein Name geflüstert wurde, von einer Stimme die er seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte. Erst leise, dann ein zweites Mal lauter - ohne jeden Zweifel war es die Stimme seiner Mutter.

Auch wenn er fest davon ausging das die Frau mit der Augenbinde und nicht er selbst der Beweggrund dazu gewesen war um hier aufzutauchen, so war er dennoch klug genug um nicht zu intervenieren. Er nickte auf das folgende einfach, konnte er sich doch nicht im entfernten vorstellen, was die Worte der Frau eigentlich bedeuteten und ihrem ersten Vorschlag gleich, versuchte er auch nicht darüber nachzudenken. Eben dieses Unterfangen scheiterte jedoch zum dem Zeitpunkt, als Noah das Flüstern einer Stimme hörte. Zum Anfang hin konnte er nicht genau ausmachen wessen Stimme dies eigentlich war, hatte er sie doch schon so lange nicht mehr gehört, dass sie ihm inzwischen fremd geworden war. Als er sie jedoch erkannte, sie seiner Mutter zuschrieb und dies bei genauerem Hinhören innerlich bestätigte, nahm sein Gesicht eine starke Blässe an. Er sah hilfesuchend zu der Frau vor sich, doch zeigte diese kaum eine Emotion, sodass er sich nur erneut umsah, ein paar Schritte zurück machte, doch egal an welchem Platz, die Stimme blieb gleichlaut, änderten ihre Lautstärke nicht, als würde sie aus jeder Ecke des Raumes gleichzeitig kommen.
„Was soll das? Woher kommt diese, diese Stimme? Woher diese Stimme kommt Frage ich!“ Und somit vollendete er den Regelbruch von eben jener Vorschrift, die man ihm erst vor ein paar Minuten auferlegt hatte.

Aus deiner Erinnerung" antwortete die Frau ihm und drehte sich zu Noah um. "Das hier ist dein Weg Noah - diese Schriften sind die Namen all derer denen du je begegnet bist. Deine Mutter, dein Vater - deine Freunde und Anverwandte ebenso wie den Bauern, der dir einst Steckrüben schenkte weil du das Geld, dass dir deine Mutter gab um einzukaufen für Zuckerstangen ausgegeben hattest. Jeder Mensch den du jemals gesehen und der dein Leben gestreift hat findet sich hier in diesem Gang" erklärte sie leise und lächelte. "Zumindest ein jeder, der Gestorben ist und der nur noch in deiner Erinnerung weiter lebt. Je mehr Menschen du gekannt, je mehr Tode dein Leben berührt haben umso länger ist dieser Gang für dich. Hier befinden sich deine Erinnerungen und sie werden dich aufhalten wenn du sie nicht vermagst loszulassen" erklärte sie ihm während sie mittlerweile stehen geblieben war und Noah aus klugen, wachen Augen ansah.