Unaufhörlich trommelte der Regen auf die dicken Steine, ließ sie wie kleine Sterne in der finsteren Nacht leuchten und machte es schwerer die Namen zu lesen, die dort eingraviert waren. Moos war darauf gewachsen und Efeuranken kletterten an den großen Podesten empor, schlangen sich um die Steine als wollte es sie, die Körper all der Gefallenen, umarmen und auf ewig in einem Schlaf gefangen halten, in den sie gefallen waren als ihre Zeit gekommen war. Kaum jemand kam hierher, kaum jemand wollte den Frieden derer stören, die ihn bereits zu ihren Lebzeiten nicht gefunden hatten und so mieden selbst die Vögel diesen Ort – kein einziger Laut kam hier an, von dem Geräusch des herabfallenden Regens und dem schweren Atmen einer schlanken Gestalt einmal abgesehen, die unweit von den großen Steinen entfernt stand und deren zitternde Finger sich um das Schwert in ihren Händen verkrampft hatten. Der glasige Blick der einst leuchtenden Augen war auf einen großen Stein gerichtet, dessen Schrift nicht mehr lesbar war, so sehr war sie bereits von dem Moos eingenommen worden. Schmerz und Enttäuschung glomm in dem feinen Gesicht auf, verhärtete eben jenes und entstellte die gleichmäßigen Züge. An ihrem Kinn perlte der Regen in kleinen Bächen ab, sickerte in die bereits völlig durchnässte Kleidung, die an dem dünnen Körper klebte und sie zittern ließ. Von der Kälte und ihrem eigenen Zittern registrierte die Gestalt kaum etwas, hatten sich ihre Sinne doch auf etwas gänzlich anderes gerichtet als das, was um sie herum geschah. Es war gleichgültig geworden, wer hierher kam, wer sie sah und wer aufgrund dieser Situation sein Urteil bilden würde. Im ersten Moment noch vollkommen still, gerade so als wäre sie eine fleischgewordene Statue stand sie da und machte bereits in der nächsten Sekunde einen Schritt nach vorn, hob das Schwert in ihrer Rechten. Die Waffe schnitt mit einem leisen Sirren, einem fremdartigen Gesang gleich, durch die Luft und schien dabei keinerlei Wirkung entfaltet zu haben. Eine Sekunde später lösten sich die dünnen Verästelungen um den großen Stein und glitten, einem Feuerwerk aus Grüntönen gleich, zu Boden. Dünne Schnitte, als wären sie von einem dünnen Skalpell vollführt worden, zogen sich durch die Blätter, hatten sie mühelos und präzise durchtrennt und das Leben daraus genommen. Entgegen der Hoffnungen des Angreifers jedoch trug der Tod jener Pflanzen nicht dazu bei, das drückende Gefühl in der Brust zu lösen, das die Luft zum Atmen nahm und ein Gefühl des Erstickens zurückließ – im Gegensatz, ihre Tat verstärkte das Gefühl und Schuld darüber, dass sie so wenig Kontrolle über sich selbst hatte, mischte sich darunter, ließ sie schlucken und den Griff um ihre Waffe lösen. Das kostbare Sternenmetall glitt zu Boden, verursachte ein dünnes Geräusch, welches nur wenig später von dem Rascheln nasser Kleidung abgelöst würde als auch die Trägerin auf den schlammigen, nassen Boden glitt und auf den Knien sitzen blieb. Enttäuscht von sich selbst und der Schwäche darüber, ein Ventil für die tosenden Emotionen in ihr selbst gesucht zu haben, ballte sie beide Hände zu Fäusten bis die Fingerknöchel weiß hervortraten und schlug damit auf den Stein. Wasser spritzte auf als sie eine der Pfützen erwischte, nahm ihr für einen Moment die Sicht und tränkte die triefenden schwarzen Haare, welche ihr in sanften Wellen bis auf den Rücken fielen, mit dem Schmutzwasser, an welchen all die Dinge zu haften schienen, die sie vergessen und verdrängen wollte. Verwundert registrierte sie die rötliche Flüssigkeit, welche sich mit dem schmutzigen Wasser vermengt hatte und lächelte bitter, als sie registrierte, dass es das ihre war und dass davon rührte, dass ihre klamme Haut bei dem Schlag, den sie gesetzt hatte, aufgesprungen war und zu bluten begonnen hatte. Ihre Augen glitten über die Narben an ihren Handgelenken, die sich rot und wulstig von der weißen Haut abzeichneten und ihre ganz eigene Geschichte erzählten. Eine Geschichte, die sie bislang verschwiegen und unter den langen Kleidern verborgen hatte, um anderen nicht zeigen zu müssen, dass auch sie besiegt wurde – dass in ihr nicht die steckte für die alle sie hielten. Behutsam löste sie die Fäuste wieder, entblößte die feingliedrigen Finger, welche im nächsten Moment zu dem Stein glitten und den Rest des Gestrüpps bei Seite strichen, die Innschrift freilegten über die die Finger der zweiten Hand, sanft, einer geliebten Erinnerung gleich fuhren. Es war so viel Zeit seit alledem vergangen. Ein grelles Leuchten durchzog die nächtliche Finsternis und wenig später wurde die einstmals friedliche Stille jäh von einem lauten Geräusch zerrissen. Es ließ sie zusammenzucken und gehetzt den Kopf heben während ihre Augen hektisch über die dunkle Umgebung glitten als wolle sie ergründen, ob jemand hier her gekommen war, um den Moment des kurzweiligen Friedens zu stören, der hier gefunden werden konnte. Die Anspannung, welche ihren Körper durchzogen hatte, schwand als die Erkenntnis folgte, dass sie allein hier war und im selben Moment sanken ihre Schultern hinab. Allein. Das Wort hinterließ einen bitteren Beigeschmack in ihrem Mund und ließ sie die Lippen aufeinander pressen um ein Geräusch zu verhindern, das einem Schluchzen gleich gekommen wäre und doch nicht so recht in diese Situation passen wollte. Sie wollte nicht schwach erscheinen, wollte nicht etwas betrauern, das sie ohnehin nicht zurückholen konnte und doch schnürte ihr jede Erinnerung daran wieder die Kehle zu und warf sie zurück, ließ Enttäuschung darüber aufblitzen, dass sie allein gelassen worden war. Sie spürte nicht, wie sich zwischen das Regenwasser, das ihr Gesicht hinunterrann salzige Tränen mischten, die einen Moment an ihren, geschwollenen und zu einem bitteren, beinahe resignierten Lächeln verzogenen, Lippen hängen blieben. Vorsichtig glitt sie ein Stück nach vorn, streckte die Hände nach dem Schwert aus und ließ ihre Finger über das raue Metall gleiten, aus welchem der Griff gefertigt worden war ehe diese sich darum legten und es wieder aufnahmen. Die Leere in ihren Gedanken, die Abwesenheit des vertrauten Geist ihres Drachen, den sie für diese Stunden aus ihrem Geist verbannt hatte, bot Platz, um sich selbst wieder darüber klar zu werden, was sie all die Monate verdrängt hatte und was sich in den langen Stunden der Einsamkeit immer wieder zurück ans Tageslicht hatte kommen wollen. Langsam rutschte sie ein Stück vor, lehnte ihren Rücken gegen den kalten Stein und ließ den Kopf nach hinten sinken bis auch dieser das Steinpodest berührte, gegen das sie lehnte. Die hellen Augen richteten sich nun auf den dunklen Nachthimmel, aus welchem der Regen noch immer auf das Land hinabfiel und sie blinzelte die Tropfen hinfort, die an den langen, schwarzen Wimpern hängen blieben ehe sie die Augen schloss und sich damit gänzlich auf das laute Prasseln des Regens einließ. Es vermengte sich mit dem lauten Knallen des Donners, dem Zucken der Blitze, die malerisch über dem Meer, welches seinen salzigen Geruch bis hierher trug, aufleuchteten und bildete damit eine Symphonie der Nacht, die jegliche Gedanken und Ängste fortspülte als wären auch sie nur Schmutzflecken auf den weißen Steinen des Weges, der hierher führte. Dennoch verließ ein leises Seufzen die Lippen, die das Lächeln verloren hatten und sie zog die Beine enger an den Körper, ließ das schwarze Schwert neben sich ruhen, eine Hand auf den Griff gelegt, um es im Notfall ergreifen zu können während der eisige Nachtwind an ihren nassen Kleidern zerrte.
Oromis war aus eigenen Gründen zum Friedhof gekommen, wollte sein eigenes Andenken an jene halten welche ihm einst soviel bedeutet hatten, aber in einer Schlacht oder bei einem Angriff ums Leben gekommen waren. Mit sanften, beinahe lautlosen Schritten war er über die weiche, nasse Erde gewandert. Seine Stiefel hinterließen tiefe Spuren im matschigen Untergrund, sogen sich mit Wasser voll wenn er durch eine tiefe Pfütze ging. Schließlich fiel ihm Caladhiel ins Auge. Leise trat er an die Freundin heran, legte ihr eine Hand auf die Schulter Eine Person die er nicht kannte sprang auf, wirbelte mit nackter Angst und Panik, unbändigem Hass das Schwert. Eine Person die er nicht kannte schnitt ihm tief ins Fleisch, die linke Schulter schoss einen unangenehmen Schmerz aus. Eine Person, die er nicht kannte blickte ihn erschrocken an, wankte zurück. Caladhiel ließ das schwert fallen. Oromis sah ungerührt auf die Schulter. Der weiße Stoff sog sich schnell mit Blut voll und Oromis lächelte Caladhiel bitter an "Ich habe dich erschreckt... verzeih..."
Caladhiel Admiss
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Es brauchte eine Sekunde bis sie begriff, was geschehen war. Bis sie begriff, dass sie jemanden verletzt hatte, dem sie niemals etwas antun wollte. Ungläubig starrte sie den alten Freund an, ihre Augen glitten zu seiner Schulter, bemerkten das Blut, mit welchem sich das weiße Gewand vollsog und schuldbewusst senkte sie den Kopf. Sie wollte sagen, dass es ihr leid tat, dass sie so reagiert und ihn verletzt hatte, doch ihre bebenden Lippen brachten nicht einen einzigen Laut zu Stande während ihr Geist unentwegt stumme Entschuldigungen formte. Das Gesicht der Elfe hatte mit der Erkenntnis, dass sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, an Farbe verloren während ihre Augen noch immer, furchtsam wie die eines aufgeschreckten Tieres, hin und her huschten, die Umgebung ins Auge fassten und hinter jedem Busch einen erneuten Angreifer vermuteten ehe sie ihren Fixpunkt wieder auf dem Gesicht des Freundes fanden. Sie empfand plötzliche Furcht vor sich selbst, Hass darauf, dass die vergangenen Ereignisse sie so schreckhaft gemacht hatte und mit bebenden Schultern machte sie ein paar Schritte zurück, fort von Oromis und fort von ihrem Schwert, das erneut auf dem Boden gelandet war. Gänzlich unschuldig lag es in einer der Pfützen und schimmerte in dem diffusen, immer aufzuckenden Lichtblitzen am Horizont. Was wäre, wenn nicht Oromis hierher gekommen wäre, sondern ein jüngerer Reiter? Ein Novize oder Alwin? Sie hätte sie ohne auch nur einmal darüber nachzudenken in nackter Angst getötet - sie hätten keine Chance gehabt.
"Wage es nicht fort zu laufen" meinte Oromis leise, nahm die nun Blutbesudelte Hand von seiner Schulter und streckte diese seiner alten Freundin in einer beinahe zärtlichen Geste entgegen. "Wir alle machen Fehler, wir alle haben Narben auf unserer Seele, welche die Welt uns zugefügt hat. Aber laufe nicht vor dir selber davon, sonst verlier ich den Respekt vor dir. Und ich will nicht den Respekt verlieren müssen" er lächelte ein leises, warmes Lächeln "Es ist in Ordnung... es ist nichts schlimmeres Geschehen und sich Gedanken darüber zu machen, dass etwas hätte geschehen können ist überflüssig. Kommt mit - wir sorgen dafür, dass es nicht wieder vorkommt. Wir beide..." er machte einen Schritt auf sie zu, Blut tropfte in die Pfützen und vermischten sich mit dem dortigen Wasser, färbten sie rot. "Ich stehe immer an deiner seite"
Caladhiel Admiss
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Für eine Sekunde tat sich in ihr die Frage auf, wie er verhindern wollte, dass so etwas noch einmal geschah, in der zweiten wollte sie ihn für seine ersten Worte auslachen und die bittere Frage stellen, wohin sie denn laufen sollte. Sie waren auf einer Insel, die von dem Orden beherrscht wurde - sie war hier unter so vielen Wesen, die sie kannte, seit sie ein Kind war und doch fühlte sie sich mit einem Mal, als wäre auch sie nur eine Verbrecherin, die vor einem hohen Gericht stand und auf ihre Strafe wartete. Allein und gemaßregelt von dem scharfen Blick des Freundes, dessen Sorge nur dazu beitrug, dass sie es als stummen Vorwurf sah. Waren sie denn wirklich so viel besser als diejenigen, die sie jagten? Diejenigen, die sie für das verdammten, was sie der Menschheit antaten? "Es ...", begann sie leise und mit brüchiger, zitternder Stimme. "es tut mir leid ...", presste sie nach einem weiteren Versuch hervor und zwang sich dazu auf ihrer Position zu verharren, nicht erneut vor ihm und der Nähe, die er bot und die gleichermaßen auch Sicherheit für sie darstellte, zu fliehen.
"Braucht es nicht" sagte leise Oromis Stimme, während er seinen Arm um Caladhiel legte, diese sanft mit sich zog. Sie musste fort von hier, fort von den düsteren Gedanken und dem Ort voller Toten, welcher ihren Geist benebelte und selbst Gefangennahm. Fort, einfach fort "Komm,wir gehen" das Schwert nahm er noch auf, steckte es Caladhiel in die Schwertscheide und sie gingen