Acallamh genoss seine Ruhe und Abgeschiedenheit lange Zeit. So lange, dass er von Ethra und den finsteren Mächten, die Alagaesia heimsuchten und schliesslich besiegt wurden, überhaupt nichts merkte. Er wusste nicht einmal um ihre Existenz. Oder besser formuliert: Ihre einstige Existenz. So oder so, der alte Mann war glücklich in seinem bescheidenen Heim. Die Tage verstrichen, wurden bald zu Wochen, Monaten Jahren. An seinem 80sten Geburtstag, zumindest glaubte Acallamh zu wissen, es müsse sich um den 80sten handeln, geschah etwas Sonderbares. In der Nacht plagten den alten Eremiten schreckliche Träume. Er schreckte mehrmals hoch, fiel aber sofort wieder in unruhigen Schlaf. Das wiederholte sich solange bis der Traum zu einer atemberaubenden Grösse anschwoll, wie das grosse Finale einer preisgekrönten Oper. Die Klänge wurden laut und immer lauter. Unerträglich laut. Acallamh wälzte sich hin und her. Er atmete stossweise, erwägte den Gedanken sein letztes Stündlein war gekommen. Bis plötzlich Traum und Wirklichkeit zu verschwammen. Die Vision war lebhafter als alles was Acallamh jemals erlebt hatte. Sie war hell und warm und wunderschön. Alles an ihr strahlte und glitzerte in tausend und einer Farbe. Heisse Tränen der Freude brannten in seinen alten Augen. Die Vision war erschütternd, furchteinflössend und gleichzeitig voller wilder Schönheit.
Nachdem sie geendet hatte, der letze sanfte Ton wehmütig verklang, wurde Acallamh grob in die Wirklichkeit zurück katapultiert. Schweissgebadet wachte er auf. Die Erinnerung an die Vision verblasste bereits doch hörte er noch immer die summende Stimme im Kopf, die seltsame, klare Worte sprach. Es war ein altes Elfengedicht. Acallamh kannte es aus seinem Arkanstudium:
Gala O Wyrda brunhvitr. Abr Acallamh vandr-fódhr.
Burthro Laufsblädar ekar undir.
Eldhrimner nen ono weohnataí med Solus un Thringa.
Eldhrimner wiol allr sjon!
Komischerweise kam sein Name in den Zeilen vor, die die mysteriöse Stimme wieder und wieder sang. Langsam begann sie zu verstummen. Acallamh erinnerte sich an das Gedicht, konnte jedoch nicht den Namen zuordnen, der an seiner statt gesprochen werden sollte. Erschöpft des lebhaftigen Traums legte sich der Alte erneut zur Ruhe. Auch wenn es nur noch einige Minuten dauerte, bis die Sonne aufging und ihre Wärme ihn so oder so weckte.
Acallamh versuchte die nächste Woche nicht an die seltsame Vision zu denken. Er hatte zwar grossen Respekt davor, jedoch wollte er die Zeichen nicht zu vorschnell deuten. Denn dass was sich in seinem Kopf zusammensetzte, das Puzzle das er zu entziffern gedachte, nahm langsam eine sehr beunruhigende Form an. Tag für Tag fielen ihm Bruchstücke der Vision ein. Er prägte sie sich ein, sobald die vertraute Stimme in seinem Kopf wieder zu ihm sprach. Es war sehr seltsam. An manchen Tagen glaubte er den Verstand zu verlieren, wenn die Stimme ihn wieder und wieder aufforderte seine Sachen zu packen und zu gehen.
Am letzen Abend der dritten Saat, es war Vollmond, kehrte die Vision wieder. Diesmal klarer und unmissverständlich. Die Teile und Worte ergaben nun endlich einen Sinn. Acallamh horchte gespannt dem Rauschen der Geschichte, die der Traum ihm erzählte. Eine dunkle Bedrohung zog über das Land und verfinstere das Herz des Eremiten. Die Geschichte erzählte weiter von Helden und deren Taten, die sie ohne seine Hilfe jedoch schwerlich vollbringen konnte. Schlussendlich verklang die Musik der Vision und eine Stimme, klar wie das reinste Bergwasser sprach zu ihm: Verlasse deine Einsamkeit, Acallahm vandr-fódrh. Ziehe hinaus in die Welt und suche nach den Helden, die das Licht des Lebens in sich tragen. Suche nach ihrem Licht und lasse dich davon leiten.Sei auch du ihnen ein Licht in finsteren Stunden, wenn die Hoffnung schwindet und Dunkelheit an ihren Herzen nagt. Verlasse die Wüste Acallamh vandr-fódrh. Du musst deinen Part in dieser Geschichte erfüllen, oder grosses Leid wird die Welt und alles Leben, dass du liebst verschlingen.
Damit verstummte die Stimme. Acallamh erwachte und sein Herz brannte im Licht des neuen Tages. Seine wenigen Habseligkeiten waren schnell gepackt. Liebevoll löschte der Alte das Feuer der Laterne vor dem Haus, als ob er sich von einem alten Freund verabschieden würde. Dann holte er seinen Wanderstock hervor, setzte ihn in den kühlen Sand des Morgens und begann seinen langen Marsch. Hinaus in die Welt!